Je suis Charlie

Nach dem Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris trafen sich Millionen Menschen zu einer überwältigenden Solidaritätsbewegung. Manche nutzten den 11. Januar für einen Schweigemarsch. Die meisten Teilnehmer demonstrierten friedlich für ihre Meinungsfreiheit und gegen Hass und Gewalt. Sylvie Breidenbach betreibt in Neustadt die Boutique La Laine. Sie ist gebürtige Pariserin und lebt seit vielen Jahren in Deutschland. Trotzdem war es ihr wichtig, an diesem Tag in Paris an der Demonstration teilzunehmen.

Chili: Wie war die Stimmung während der Demonstration? Sylvie: Ich empfand die Demonstration als eine friedliche, kreative und engagierte Versammlung von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Unglaublich schnell – denn zwischen den schrecklichen Ereignissen und der Demo lag nicht viel Zeit - hatten sich Gruppen zusammengeschlossen, die mit Witz und Idee Plakate vorbereitet oder durch Kostüme ihre Meinung zum Ausdruck gebracht haben. Wir wollen uns durch Worte wehren und das spürte man deutlich. Das Wort und nicht die Gewalt standen im Vordergrund. Es gab Papier und Stifte, um sich auszudrücken und seine Emotionen zu beschreiben oder zu skizzieren. Der Stift wurde ja ohnehin zum Symbol der Bewegung.

Chili: Wer hat demonstriert? Gab es Kundgebungen oder glich die Demo eher einem Schweigemarsch mit großer Betroffenheit? Sylvie: Es kamen Menschen jeglicher Herkunft und aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sie brachten ihre Kinder, Freund und Verwandte mit. Tatsächlich fanden sich Menschen zusammen, die sich schon lange nicht mehr gesehen hatten und die Stimmung wurde sogar fröhlich, voller Stärke und Solidarität. Ich kam etwas später, weil ich an diesem Tag erst angereist war. Der Start der Demo glich wohl einem Schweigemarsch der Betroffenen und Angehörigen, wie man mir erzählte. Sie waren auch diejenigen, die tatsächlich durch die Straßen gingen. Alle anderen blieben relativ statisch an ihrem Platz, da es durch die unglaubliche Menge der Menschen kaum ein Durchkommen gab. Kundgebungen habe ich nicht gesehen. Doch gab es viele solidarische Rufe und Applaus für den Trauermarsch der Polizisten – aber friedlich und in keinster Weise aggressiv.

Chili: Demonstrationen haben eine starke Tradition in Frankreich. Unterschied sich diese Demo von den anderen? Sylvie: Ja, tatsächlich ist Demonstrieren etwas ganz normales in Frankreich. Man wächst sozusagen damit auf. Je nach Thema der Demonstration können diese durchaus auch in Krawalle oder zumindest in aggressive Stimmung umschwenken. Normalerweise schließen die Geschäfte und Bistros an der Demonstrationsstrecke aus Angst vor Vandalismus. Während der Demo Je suis Charlie jedoch hatten alle Bistros geöffnet. Die Menschen saßen in den Cafés und diskutierten miteinander. Es war – ich kann es nur wiederholen – friedlich und fast wie eine Familienfeier.

Chili: Haben die Ereignisse die Franzosen näher zusammengebracht? Sylvie: Im Moment würde ich das bejahen. Wie lange jedoch das Gefühl andauert, kann ich nicht sagen. Ich habe gehört, wie über das französische Lebensgefühl, die Stärken Frankreichs und der Franzosen gesprochen wurde und darüber, dass wir uns auf unsere Werte besinnen und diese dem übersteigerten Konsumdenken entgegensetzen müssen. Wie lange diese Gedanken präsent sind, kann niemand sagen. Chili: Empfinden die Pariser nun ein Gefühl der Unsicherheit? Sylvie: Ja, aber nicht erst seit den Attentaten!