Diskutieren in Internetforen

Mittlerweile gehört es zum Alltag, dass jeder jederzeit in unzähligen Foren an Diskussionen teilnehmen kann. Das hat Vorteile und ist gleichzeitig nicht immer ein Segen. Wir haben uns dazu Gedanken gemacht.

Pro
„Ihr müsst dem Volk aufs Maul schauen“ (Martin Luther)

Jede Meinung zählt! Jede Meinung muss Gehör finden! Will man diese Schlagworte mit Leben füllen, dann muss auf dem Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung jedem Bundesbürger die Möglichkeit eingeräumt werden, sich an politischen und gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen. Der Austausch von Meinungen muss hierbei barrierefrei erfolgen, das heißt, dass jeder Bundesbürger, gleich ob jung, alt, reich oder arm einen einfachen Zugang zur Partizipation haben muss. Die schöne, nicht mehr allzu neue Welt des Internets bietet diese Möglichkeit. Alle Bevölkerungsgruppen können von zu Hause aus ihre Standpunkte und Meinungen mit einer großen Anzahl an Teilnehmern in Internetforen teilen. Das Ganze funktioniert je nach gewählter Plattform sowohl mit der Nennung des eigenen Namens als auch anonym.

Dass von vielen Seiten gefordert wird, dass man nur noch mit der Nennung des eigenen Namens am virtuellen Meinungsaustausch teilnehmen dürfe, muss verwundern. Sollte man nicht froh sein, dass sich im Schutze der Anonymität viele äußern, die sonst nicht ihre Meinung kund getan hätten? Und muss die Politik nicht noch viel mehr auf den Puls der Internetforen hören, um einen realistischen Eindruck der tatsächlichen bundesdeutschen Stimmungslage zu erhalten?

Contra
„Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über“ (Martin Luther)

Politik und Gesellschaft wären schlecht beraten, würde sie ausschließlich auf die Stimmungen und Meinungen von Internetnutzern hören. Fordert man auf der einen Seite einen barrierefreien Zugang zum politischen und gesellschaftlichen Austausch, dann muss man auf der anderen Seite auch dafür sorgen, dass die Meinung der Offline-Bürger nicht gleichzeitig überhört wird. Denn nur selten bis nie erlangt das gesprochene Wort dieselbe Aufmerksamkeit wie Sätze, die wie in Stein gemeißelt, Internetforen zieren. Gleichwohl sind beide Formen der Partizipation als gleich wichtig anzusehen.

Wie geht man also mit dem mutmaßlichen Ungleichgewicht in der Wahrnehmung von Aussagen um? Man nimmt es zu Gunsten der Internetforen zur Kenntnis. Die Menschen, die sich in der analogen Welt mit politischer und anderer ehrenamtlicher Arbeit Nächte, Wochenenden und Feierabende um die Ohren schlagen, haben nur selten die Möglichkeit, jeden Schritt öffentlich und inhaltlich abschließend in die digitale Welt des Internets zu tragen. Zumindest dürfte diese Feststellung für Menschen gelten, die neben Job und Familie in ihrer Freizeit das Ehrenamt betreiben. Diesen Menschen wird nicht selten persönlich der Marsch geblasen, wenn deren Entscheidungen nicht zu dem gewünschten Ergebnis führten. Das Blaskonzert erfolgt dabei natürlich sowohl analog als auch digital.

Klar ist auch, politisches und gesellschaftliches Engagement macht bedeutend mehr, als die mediale Berichterstattung fähig ist darzustellen. Welche Informationen beim Bürger schlussendlich ankommen, obliegt den Berichtenden. Journalisten wird die schwierige Aufgabe zuteil, beurteilen zu müssen, welche Bereiche des Austausches eine Veröffentlichung wert sind und welche platzbedingt ausgeklammert werden müssen. Das Weglassen von Informationen und das Herausreißen von Aussagen aus dem Kontext sind sicherlich keine Erfindung der Internetnutzer. Dennoch wurde mit dem digitalen Austausch von Meinungen ein größerer Kreis von Menschen erschlossen, der gerne selbst den Journalist in sich entdecken möchte. Die Gefahr, dass sich Engagierte durch negative Kommentare im Internet, in der Summe Shit-Storm genannt, als Getriebene fühlen, ist zumindest gegeben. An Konventionen journalistischer Arbeit sind private Schreiber selbstredend nicht gebunden.

Jens Wacker

Es gibt Pro und Contra.
Und geändert hat sich nichts!

Ja, wir haben die Chance, uns an allen Diskussionen dieser Welt zu beteiligen. Wir können teilhaben an der öffentlichen Meinungsbildung. Wir lernen hinzu, äußern unsere Gedanken und Befürchtungen, liefern Argumente und sind ganz basisdemokratisch dabei, wenn es gilt, Veränderungen in der Gesellschaft voran zu treiben oder zu verhindern. Konstruktiv können wir sein. Mit langen Beiträgen und Verweisen auf Geschichte, Wissenschaft oder Kultur können wir unsere Meinung belegen und zum Denken anregen. Wenn wir es können! Wir gehen nicht mehr auf die Straße, um der Welt zu demonstrieren, dass wir vermeintliche Missstände nicht hinnehmen möchten.

Wir äußern unsere Meinung – aber dort, wo es keinen hörbaren Lärm macht, keine Schaufenster zertrümmert werden und keine Steine fliegen. Und doch ist es machtvoll, wenn wir unsere Gedanken in Internetforen austauschen. Ganz abgesehen von der hilfreichen, aber harmlosen Variante der Hilfe und Tipps, die in Internetforen gerne gegeben und auch angenommen werden, sind die Diskussionsforen Plattformen der Weltanschauungen, des Wissens – und leider auch des massiven Unwissens. Dort sammelt sich neben guten Anregungen, neuen Aspekten und innovativen Denkweisen auch unglaublicher Gedankenmüll an, der nicht nur lächerlich, ärgerlich oder störend, sondern sogar gefährlich sein kann. Das ist die Crux. „Eine Lüge ist schon um die ganze Welt, bevor sich die Wahrheit die Stiefel angezogen hat“ (Terry Pratchett).

Manchmal muss Unsinn nur lange genug wiederholt werden, um als neue Erkenntnis wahrgenommen zu werden. In diesem Fall werden die Posts und Einträge tatsächlich auch von einer Vielzahl ernst genommen. Es stellt sich doch die Frage, wie häufig diese Kommentare tatsächlich Aufmerksamkeit erregen. Werden sie wahrgenommen und von wem? Wie müssen die Posts beschaffen sein, um tatsächlich etwas zu bewegen? Oder ist es wie bei der guten alten Straßenschlacht: Nur die Menge macht die Meinung? Dort wurden Plakate hochgehoben und Parolen skandiert, die jemand vorgab. Meinung in Headline-Kurzform, während andere in endlosen Diskussionsrunden sich um sich selbst und manchmal auch um das Thema kreisten.

Hat sich also etwas geändert? Nicht wesentlich. Geändert hat sich auch der Tonfall nicht. Einige Posts sind in respektvoller Weise formuliert und intelligent vorgebracht. Andere Kommentare lassen jeden Respekt vor den anderen Diskussionsteilnehmern vermissen und von durchdachter Meinung ist auch nicht immer eine Spur zu finden. Auch da kann man bei genauerer Betrachtung keinen Unterschied zu früheren Verhaltensweisen ausmachen. Warum auch? Der Mensch an sich mit allen seinen Stärken und Schwächen ist geblieben. Er hat nur seine Werkzeuge geändert.

Ira Schreck

Magazin