Wandel des Schenkens

Wie schlimm steht es eigentlich um Weihnachten? Kaum jemand jenseits der 20 Jahre ist nicht gefühlt seit September gestresst von dem bevorstehenden Höhepunkt aller Familienfeste. Denn dann sind sicher schon die ersten Weihnachtsmänner und Spekulatiusschachteln in den Supermärkten aufgebaut. Kurzfristig einsetzende Blitzmomente mit Weihnachtsgeschenkideen werden entschlossen in die hinterste Ecke der Erinnerungsstube verbannt und auf später vertröstet. Aber später kommt früher als man denkt.

Der Stress läuft zur Hochform auf. Aber seien wir mal ehrlich: Ganz desolat ist die X-mas Haltung trotz allgemeinem Gesamtjammern allerdings bis heute nicht. Denn auch in diesem Jahr werden die Kirchen wieder zu Weihnachten gut gefüllt sein, die Familien werden sich gegenseitig besuchen und sicher stapeln sich viele Pakete unter dem Weihnachtsbaume, der übrigens immer noch nicht fehlen darf. Natürlich ist das Klagen über den Sinnverlust des Christfestes wieder zu hören, schließlich gehören diese Seufzer traditionell ebenso zur Adventszeit wie Kerzen, Kugeln, Fondue und volle Einkaufsstraßen. Aber gerade das Einkaufen in übervollen Läden ohne wirklichen zielgerichteten Plan vergällt vielen eigentlich Weihnachtswilligen die Adventszeit. Besinnungsloser Konsum statt Zuwendung und Einkehr.

Jede Generation spricht davon, dass es früher glücklicher, erfüllender und sinnvoller gewesen sei. Erstaunlich ist, dass dieses früher kein Datum markiert, sondern die jeweils eigene Kindheit. Das war die Zeit, in der man selbst zu den Geschenken eine andere, einfachere und direktere Haltung hatte. Für Erwachsene ist Schenken ein komplizierter Akt, in dem sich das soziale Geflecht in allen Facetten offenbart. Schätzt man als Schenkender den Beschenkten richtig ein, ist die Welt in Ordnung. Wenn nicht, ist die Stimmung schnell getrübt. Ist das Geschenk zu groß oder zu klein oder hat man gar jemanden vergessen, wird der Beschenkte beschämt, betrübt, enttäuscht oder beleidigt reagieren. Nicht jedem ist es gegeben, sich selbst beschenken zu lassen, da es dabei erforderlich ist, einen Einblick auf die emotionale Ebene zuzulassen. Fatal für viele Menschen. Zudem besteht der eventuell sogar nur scheinbar existierende Zwang, sich revanchieren zu müssen.

Eine Gegenleistung in gleicher Höhe ist gefragt, wenngleich die Höhe im Vorfeld eine unkalkulierbare Größe darstellt. Wir haben es verlernt, uns wie Kinder überraschen und beschenken zu lassen. Uns fehlt auch die ungetrübte und einfache Freude am Schenken. Vielleicht liegt darin der heimliche Kern der nostalgisch klingenden Weihnachtsseufzer. Die Weisheiten, dass man sich die wirklich wichtigen Dinge nicht verdienen kann, sondern als Geschenk erhält, ebenso wie der Satz: „Die schönsten Dinge im Leben sind gar keine Dinge“, sind mehr als nur Kalenderbotschaften. Sie markieren den Sinn von Weihnachten. Wer etwas gibt, gibt auch einen Teil von sich selbst preis, und wer etwas nimmt, sagt etwas über sich und lässt sich auf den Schenkenden und seine Erfahrungswelt ein. Geschenke werden zu Zeichen der bestehenden Beziehung und zeigen, wie es um sie bestellt ist.

Dabei ist das Mehr an Geschenk nicht die Quelle der Erlösung, sondern vielmehr zeichnet die Inspiration und die Überlegung das Bild der Beziehung. Mit Sorgfalt ausgewählte Geschenke erkennt man nicht am Preis. Vielleicht bringen diese Geschenke in der Vorbereitung, beim Schenken und dem Schenkenden wieder die kindliche Freude zurück, die man als Erwachsener häufi g vermisst. Und vielleicht wird somit das Klagen über den Kommerz ein wenig leiser.