Sie waren stets bemüht

Das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen war von Beginn an im Sommer 2005 ein Phänomen. Filme wurden in Zelten gezeigt, diskutiert wurde hautnah mit Filmemachern, Schauspieler gab es zum Anfassen und Sekt schlürfte man in Liegestühlen am Rhein – mit Blick auf Mannheim. Das Publikum, das jedes Jahr zahlreicher wurde, war durchaus nicht nur von Herrn und Frau Schickimicki geprägt und auch nicht von irgendwelchen tatsächlichen oder auch Pseudo-Intellektuellen unterwandert. Jeder war da. In Jeans und Turnschuhen oder mit Kleidchen und Peeptoes. Und das war von Beginn an das Flair des Filmfestivals auf der Parkinsel. Ein wenig unkonventionell, ein wenig Improvisation gemischt mit Qualität, Pfälzer Lebensfreude und ein Hauch von Großstadtaroma.

Dass beim neunten Festival in dieser Reihe nun das Hochwasser der schönen Parkinsel massiv zu Leibe gerückt ist, auf der bereits die Zelte standen, war einfach Pech. Mit großem Einsatz von mehreren Feuerwehren, dem Technischen Hilfswerk, der Stadt Ludwigshafen und zahlreichen helfenden Händen vieler Freiwilliger wurden die Zelte in einem Kraftakt wieder abgebaut und unmittelbar neben der Parkinsel wieder errichtet. Wozu die Organisation des Festivals normalerweise fünf Wochen benötigt, wurde nun mit einer stark vergrößerten Mannschaft in Tag- und Nachtschichten in einer Woche gestemmt. Sitzplätze am Hafen versuchen zumindest einigermaßen den Zauber herzustellen und innerhalb der Zelte während der Vorstellungen ist es ohnehin ohne Bedeutung, wo das Publikum sitzt. Irgendwie passt sogar dieser unwetterbedingte Umzug zum Fest. Ein wenig unkonventionell, ein wenig Improvisation!

Doch es fehlt auf dem diesjährigen Festival etwas, was früher vorhanden war und nicht auf den Umzug geschoben werden kann. Die Qualität in den Kleinigkeiten. Der Kartenverkauf am Eröffnungsabend war schlecht organisiert, vorbestellte Karten nicht aufzufinden, Hinweisschilder fehlten völlig. Der Ton der Filme in den Nachbarzelten schlich sich in die eigene Vorstellung. Der Hauch von Großstadtaroma nahm an Penetranz zu. Die Wichtigkeit der eigenen Darstellung – sowohl der Festivalmacher als auch der Gäste – drang gänzlich unaufgefordert auf die Bühne. Seltsam mutete auch die Pressemitteilung im Vorfeld der Eröffnung an, die auf noch freie Plätze der Kinderfilmfestreihe aufmerksam machen wollte: „Schlafen die Lehrer?“ Schließlich habe man so schöne Filme im Programm.

Die Pfälzer Lebensfreude war nur in der geduldigen Gelassenheit mancher Gäste zu finden. An der Theke fand man sie jedoch nicht. Der Frage einer Thekenaushilfskraft: „Ist Weißweinschorle und Rieslingschorle dasselbe?“ – ist nicht zu entschuldigen.

Die Eröffnungsrede von Dr. Michael Kötz, Geschäftsführender und künstlerischer Direktor

Es ist kein Geheimnis, dass Dr. Michael Kötz gerne eine lange Rede hält. In dieser Rede versäumt er es auch nicht, die eigene Leistung zu erwähnen. Mehrfach. Da muss man als Besucher durch, wenn man den Eröffnungsfilm sehen möchte. Doch dieses Mal hatte seine Rede eine ganz besondere Qualität. Kötz erzählte die Geschichte des Festivalumzugs von der ersten Hochwasserwarnung bis hin zum Eröffnungstag. Er lobte alle Helfer, die vielen Einsatzkräfte, den Willen, seine Skepsis und das Durchhaltevermögen aller, um nun schlussendlich Filme schauen und einem riesigen Publikum das schönste Festival Deutschlands präsentieren zu können. Außerdem blieben die Mehrkosten, die dieses Organisationswunder verschlungen hat, nicht unerwähnt und Kötz bat um Spenden. Für das Festival. Gänzlich unerwähnt blieben jedoch diejenigen, die in Deutschland vom Hochwasser betroffen sind und nicht um einen Film und ein Glas Sekt bangen müssen – sondern um ihre Existenz. Keine Silbe, kein Wort, keine Solidarität. Kein Spendenaufruf für wahre Probleme.

Dann sprach Dr. Michael Kötz von der Zukunft des Kinos. Er erzählte mit Bedauern, dass manche Filme vom Publikum völlig unbeachtet blieben. Das Fernsehen sei schuld. Er sprach von der Einsamkeit des Zuschauers alleine vor dem Fernseher oder alleine im Kino. Beamer und Leinwand würden es ermöglichen, kleine Studentenkreise mit Filmen zu beglücken. Kinos hätten kaum noch Chancen. Filme on demand würde diskutiert. Es wäre doch so schön, in einem dunklen Raum zu sitzen und auf der Leinwand als Fenster zur Welt das wahre Leben zu betrachten.

Lieber Herr Dr. Kötz, das wahre Leben findet nicht auf der Leinwand statt, sondern außerhalb der Kinos. Jeden Tag. Auch ungewollt. Dann, wenn man die Augen öffnet, sich umschaut und das kleine und große Leben von Menschen betrachtet, die man atmen hört, unmittelbar und reell vor Augen hat und anfassen kann. Vielleicht auch anpacken kann. Beim Helfen. Wenn wirkliche Not herrscht.

Ach ja, da waren ja auch noch die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Maskenbildner und so weiter des Eröffnungsfilms Schwestern. Sie alle wurden auf die Bühne gebeten. Vor dem Film. Sie sagten Sätze wie: „Ich freue mich, hier zu sein.“ oder „Es ist etwas anderes, hier zu stehen als da zu sitzen“.

Der Film begann übrigens nach einer Stunde dann doch noch.

Der Film

Der Film Schwestern von Regisseurin Anne Wild und Maria Schrader als Hauptdarstellerin ist ein Film, der das Publikum spaltet. Und zwar jeden einzelnen in sich. Schöne Bilder und eine tolle schauspielerische Leistung begeistern fraglos. Nicht nur Schrader spielt ihre Rolle intensiv, zuweilen federleicht und eindrucksvoll. Nur die Geschichte der drei Geschwister, denen es nicht schlecht geht, die jedoch nicht wirklich den Sinn des Lebens gefunden haben, weil die Mutter so ist wie sie ist, ist nun wirklich nicht originell. Stereotypen wandeln vorhersehbar auf ein glückliches Ende zu. Zum Schluss sind alle geläutert und zufrieden. Die Schauspieler und das Publikum hätten anderes verdient.