Am Anfang war der Tweet

„Ich bin fast 18 und hab´ keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In vier Sprachen.“ Das waren Nainas Worte, die sie, ohne sich deren Folge bewusst zu sein, an einem Samstagabend twitterte. Wie 140 Zeichen eine ganze Bildungsdebatte auslösen können, verwundert viele Menschen.

Vor allem jene, die schon seit Jahren unser Schulsystem bemängeln und nicht gehört wurden. Obwohl Naina mit ihrer komprimierten Mitteilung nur etwas Frust loswerden wollte, steckt in dieser Aussage doch ein kleines Stückchen Wahrheit. Was in der Schule nicht gelehrt wird, ist jenes Wissen, das man im alltäglichen Leben braucht. Wie muss ich mich versichern? Was muss ich bei einer Vertragsunterzeichnung beachten? Welche Verpflichtungen habe ich als Volljähriger? Wie zeichnet sich ein nachhaltiger Lebensstil aus? Was sind meine individuellen Stärken und wie kann ich sie bei meiner Berufswahl integrieren?

Nach dem Abitur kommt der so genannte Ernst des Lebens und man steht erneut vor dem Beginn eines ungewissen Pfades. Und es tut sich die beängstigende Frage auf, wo darf und soll ich meinen ersten Schritt hinsetzen? Der Lehrplan ist meist zu theoretisch, wodurch sich viele Schulabgänger nicht gewappnet fühlen für das, was kommt. Parallel wird bereits früh Leistungsdruck aufgebaut und viele Schüler leiden unter Existenzängsten. Zudem lässt der straffe Lehrplan wenig Raum für eigene Projekte, die die Individualität des Einzelnen fördern könnten.

Trotz all der eben dargelegten Argumente sollte man nicht aus den Augen verlieren, was die Schule uns sinnvollerweise lehrt. Der Lehrplan zielt auf eine ganzheitliche Bildung ab. Man wird quasi mit wichtigen Mitteln wie Textverständnis, Quellenarbeit oder Transfer ausgestattet. Grundlagen unserer Geschichte, der Mathematik und verschiedener Sprachen werden vermittelt und spätestens in der Oberstufe wird man sich über die eigenen Interessen bewusst. Des Weiteren wird man schonend auf unsere Gesellschaft vorbereitet, denn man lernt, gewissem Druck standzuhalten und sich bei Konkurrenz durchzusetzen.

Auch trägt man erstmalig Verantwortung für das eigene Schaffen und entwickelt Disziplin. Jedoch berücksichtigt dieser Lehrplan nicht den Wandel unserer Gesellschaft. Viel mehr Eltern sind berufstätig, es gibt nun neben dem klassischen Familienmodell noch viele neue. Und dieser Wandel sollte sich auch im Lehrplan erkennen lassen. Die Fremderziehung durch die Schulinstanz muss nun weiter reichen, sich mit Themen wie Ernährung oder Vorbereitung auf das Leben beschäftigen. Aktive Veränderungen wurden seit Nainas Kundgebung noch nicht eingeleitet, doch immerhin findet das Thema Schule und Lehrplan wieder auch öffentliches Gehör. Traurig ist allerdings, dass dem Ganzen erst durch erhöhte Klickzahlen in einer social media Plattform Bedeutung zugeschrieben wird. Sofia Schneider