Müdes Deutschland

In Deutschland haben immer mehr Menschen Probleme beim Ein- und Durchschlafen. Seit 2010 sind die Schlafstörungen bei Berufstätigen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren um 66 Prozent angestiegen. Das zeigt der aktuelle DAK-Gesundheitsreport Deutschland schläft schlecht – ein unterschätztes Problem. Nach der repräsentativen Studie fühlen sich derzeit 80 Prozent der Arbeitnehmer betroffen. Hochgerechnet auf die Bevölkerung sind das etwa 34 Millionen Menschen. Unter der besonders schweren Schlafstörung Insomnie leidet jeder zehnte Arbeitnehmer. Seit 2010 gab es hier einen Anstieg von 60 Prozent. Insgesamt lassen sich nur wenige Betroffene ärztlich behandeln. Und nur eine Minderheit meldet sich beim Arbeitgeber krank. Für Unternehmen bedeutet das: Fast die Hälfte der Erwerbstätigen ist bei der Arbeit müde (43 Prozent). Etwa ein Drittel (31 Prozent) ist regelmäßig erschöpft. Im Vergleich zu 2010 schlucken heute fast doppelt so viele Erwerbstätige Schlafmittel.

Die DAK-Analyse zeigt, dass sich dieser Trend auch bei den Krankmeldungen auswirkt. Die Fehltage aufgrund von Schlafstörungen stiegen um rund 70 Prozent auf jetzt 3,86 Tage je 100 Versicherte. Eine Krankschreibung dauerte im Schnitt 10,9 Tage. Die große Mehrheit versucht allein mit den Schlafproblemen zurechtzukommen und geht nicht zum Arzt. Lediglich 4,8 Prozent der Erwerbstätigen waren im vergangenen Jahr deswegen in den Praxen. Selbst Erwerbstätige mit der schweren Schlafstörung Insomnie gehen meist nicht zum Arzt: 70 Prozent von ihnen lassen sich nicht behandeln.

„Die zunehmenden Schlafstörungen in der Bevölkerung sollten uns wachrütteln“, sagt Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit. Die Beschwerden müssten ernst genommen werden, da chronisch schlechter Schlaf der Gesundheit ernsthaft schaden könne. Storm: „Schlafstörungen erhöhen beispielsweise das Risiko für Depressionen und Angststörungen. Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang mit dem starken Anstieg der Krankmeldungen bei den psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren.“

Wie die aktuelle Reportbefragung zeigt, steht die Abklärung von möglichen psychischen Ursachen bei Schlafproblemen in den Arztpraxen an erster Stelle (70 Prozent). Mehr als jeder dritte Patient (38 Prozent) bekommt der Befragung zufolge eine Psychotherapie. Jeder zweite Betroffene erhält Medikamente. Auch hier zeigt der DAK-Gesundheitsreport einen deutlichen Anstieg: Im Vergleich zu 2010 nehmen heute fast doppelt so viele der 35- bis 65-jährigen Arbeitnehmer Schlafmittel. Die Zahl der Betroffenen stieg von 4,7 auf 9,2 Prozent.

Bei Schlafproblemen greifen viele Betroffene zur Selbstmedikation. Jeder zweite von ihnen kauft Schlafmittel ohne Rezept in der Apotheke oder Drogerie. 43 Prozent bekommen ein Rezept. Darunter sind 20 Prozent Privatrezepte, die damit nicht in den Statistiken der gesetzlichen Krankenkassen erfasst werden. Und: Jeder Zehnte gab im Rahmen der DAK-Studie an, sich nicht ausreichend vom Arzt über die Risiken einer längeren Schlafmitteleinnahme informiert zu fühlen. Das spiegelt sich auch in der Einnahmedauer wider: Knapp jeder Vierte nimmt Schlafmittel länger als drei Jahre ein. „Heute werden noch immer zu viele Mittel mit Abhängigkeitspotenzial über zu lange Zeiträume eingenommen“, erläutert Prof. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums an der Berliner Charité. „Wichtig ist, die Behandlung mit Schlafmitteln geschulten Ärzten zu überlassen.“

Ursache für Schlafprobleme sind laut DAK-Report unter anderem Arbeitsbedingungen. Wer zum Beispiel häufig an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit arbeitet, steigert sein Risiko, die schwere Schlafstörung Insomnie zu entwickeln. Auch starker Termin- und Leistungsdruck, Überstunden sowie Nachtschichten und ständige Erreichbarkeit nach Feierabend gelten in diesem Zusammenhang als wichtige Risikofaktoren.

Viele Arbeitnehmer sorgen aber auch selbst für einen schlechten Schlaf. Nach der Studie der DAK-Gesundheit schauen 83 Prozent der Erwerbstätigen vor dem Einschlafen Filme und Serien, 68 Prozent erledigen abends private Angelegenheiten an Laptop oder Smartphone. Etwa jeder Achte kümmert sich noch um dienstliche Dinge wie E-Mails oder die Planung des nächsten Arbeitstages. „Diese Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie unsere Gesellschaft das Thema Schlaf in eine Nebenrolle drängt“, so Schlafexperte Fietze. „Der Körper braucht aber Zeit, um nach einem stressigen Tag abzuschalten und sich auf den Schlaf einzustellen. Diese Zeit müssen wir ihm gönnen.“

Die wenigsten Erwerbstätigen mit Schlafstörungen nutzen moderne Technologien wie Apps, Fitness-Tracker mit Schlafanalyse oder Lichtwecker, um ihre Schlafprobleme in den Griff zu bekommen. Nur 15 Prozent setzen auf diese Hilfen. Acht Prozent nutzen die Schlafanalyse über einen Fitness-Tracker. Lichtwecker finden sich bei knapp fünf Prozent. Fast genauso viele nutzen Apps zur Schlafanalyse. Rund ein Prozent führt ein Schlaftagebuch.

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