Der Marsch der Gerechten

Es gibt eine schnell wachsende Menge von Menschen, Gruppen, Strömungen, Ratgebern, Influencern und neuerdings auch Schülern, die uns auffordern, beraten, hinweisen, beschimpfen, belehren, was wir tun, lassen, verbessern, ändern, initiieren, vermeiden, neu erfinden sollen. Zugegeben, häufig sind gute Ideen, richtige Ansätze, tolle Argumente, unschlagbare Neuerungen und nicht wegzudiskutierende Wahrheiten darunter. Schlicht: Die Schlagzahl macht es, dass wir – das gemeine Volk – nicht immer gleich auf der Höhe der Zeit erscheinen. Auch die sich rasant ändernden Strömungswellen und hippen Namen für Lebensarten erleichtern ein Folgen nicht wirklich. Ein Beispiel: Bis vor kurzem rauschte der Minimalismus über uns hinweg. Menschen, die auf fast alles verzichten und sich nur noch mit dem Allernotwendigsten umgeben, zeigten uns mit entschlossener Beharrlichkeit, wie unsagbar oberflächlich das Anhäufen von Dingen und liebgewonnen Kleinigkeiten doch sei. Kurz: ein Aufschrei mit Absage an den Konsum. Heute spricht man von Essentialismus, was die abgeschwächte Form des Minimalismus ist, allerdings gekoppelt mit mehr Individualismus. Dabei verzichtet man auf alles, was einem nicht wichtig ist und behält nur noch das, was einen glücklich macht. Früher nannte man diese Vorgehensweise einen gesunden Menschenverstand. Gut! Das ist nicht so hip und lässt sich auch schlecht als Etikett auf die von allen sichtbaren Stellen des Outfits kleben.

Heute ist Umweltschutz ja ganz weit vorne. So weit vorne, dass es schon fragwürdige Entscheidungen gibt. Siehe Stickoxide und Feinstaub! Aber dieses Fass machen wir jetzt einfach mal nicht auf. Autofasten und sinnvoller Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Richtung Funktionstüchtigkeit, Pünktlichkeit und Bezahlbarkeit wären Denkansätze für Verkehrsteilnehmer und Politiker. Über die Notwendigkeit, den Plastikmüll zu reduzieren, müssen wir alle miteinander überhaupt nicht diskutieren. Die Frage ist jedoch, wie es geschehen soll und was für den Individualverbraucher als Beitrag möglich ist. Gut ist, dass sich die Jugend einschaltet und die Diskussion zumindest in Gang hält. Ob dieser jugendliche Diskussionsbeitrag an einem Freitagmorgen geschehen und anschließend der Marktplatz in Neustadt an der Weinstraße wie eine Müllhalde aussehen muss, ist eine weitere Diskussion wert. Oder eigentlich nicht.

Die Sache an sich ist völlig logisch, einsehbar, nicht zu widersprechen und auf Konsens ausgelegt. Und das macht es so einfach, sich der Bewegung anzuschließen und Teil einer Gruppe und Initiative zu sein - nicht nur bei Fridays for Future, sondern auch bei allen anderen Bewegungen. Wie zum Beispiel die vegane Influencerin. Man steht für das Richtige und ist endlich auf der Seite der Gerechten und Unantastbaren. Die Argumente sprechen dafür, die Gesinnung ist frei von jeglichen Zweifeln. Und genau da liegt die Gefahr. Denn in diesen Bewegungen mit eindeutig richtigen Parolen ist das Selbstdenken und Hinterfragen – scheinbar – nicht mehr nötig. Und doch: In allen Bewegungen, Strömungen und Tendenzen gibt es Positionen zu besetzen, die in wachsender Menge mit Macht ausgestattet sind. Und Macht will erhalten werden. Der Erhalt der Macht duldet jedoch keinen Widerspruch und mittelfristig auch keine neuen Ideen. (Übrigens ist die Influencerin durch ihre eingeschränkte Ernährungsweise krank geworden und musste – heimlich – wieder tierische Produkte zu sich nehmen.)

Es ist immer sinnvoll, skeptisch, misstrauisch gegen schlagende Argumente und vereinfachende Überschriften und Slogans zu bleiben. Nur Selbstdenken macht schlau!

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