Das fragile System

Wir sind ja hochtechnisiert. Mit einer Informationsflut floaten wir durch den Tag, merken uns nichts mehr, weil wir es nicht müssen, denn wir schauen alles nach, googeln, simsen, chaten, machen schnell ein Foto von Dingen, die wir uns eigentlich einprägen oder abschreiben sollten. Wir sind per Facebook und Twitter immer auf dem neuesten Stand. Die wenigsten unter uns sind noch in der Lage, am Bankschalter einer Überweisung zu tätigen, einen Briefumschlag zu beschriften und frankieren. Aber wann der nächste Zug am Bahnhof einläuft, wissen wir genau, denn wir haben den aktuellen Fahrplan inklusive Verspätungen in Echtzeit per App griffbereit zur Hand. Gegen die Vergesslichkeit nützen die Helferlein auf dem Smartphone, die wir füttern und stets einsehen können. Wir sind überall erreichbar und tauschen die noch so kleinste Kleinigkeit sofort mit der Welt. Gewollt und durchaus auch ungewollt.

Allerdings nur solange uns das Internet nicht den Dienst verweigert. Wehe, wenn die Leitung kippt und die Verbindung auch nur Schwankungen aufweist. Dann sind wir verloren. Unsere Daten sind nicht mehr greifbar. Dunkle Wolken ziehen vor die Cloud und wir fühlen uns klein und hilflos. Ein Tag ohne Facebook, ohne Chat und ohne Messenger ist schon schlimm genug. Aber man kann es überleben, solange die Telefonleitung noch steht. Das ist der Notfallplan. Tatsächlich hat man festgestellt, dass die Jüngeren unter uns nicht mehr gerne oder fast gar nicht mehr telefonieren. Auch nicht mehr telefonieren können, wenn es sich um geschäftliche Telefonate handelt. So werden Einstellungstests neuerdings mit einem Telefonat-Check ergänzt.

Allerdings sind die – mentalen - Erinnerungen ebenso überschattet wie das leise Kommunikationsvermögen, denn das Denkarium liegt im unerreichbaren Nirwana. Welche Unterlagen wollte ich noch gleich dem Kunden mitbringen? Wie lautete das Passwort? Wie hieß das Buch, das mir Anna so dringend ans Herz gelegt hatte? Und wie komme ich von A nach B, wenn mein Navi vom Satelliten abgeschnitten ist? Und wie war noch meine, deine, seine, ihre Telefonnummer?

Man muss tatsächlich in der realen Welt jemanden fragen. Mit Menschen sprechen. Von Angesicht zu Angesicht. Auch dieser Notfallplan, tritt er denn in Kraft, ist zu bewältigen. Vielleicht mit Mühe, aber es ist machbar.

Jetzt wird es komplizierter. Wie kann ich offline Überweisungen tätigen, wenn meine Bank ihre Schalter nur im World Wide Web hat? Und wie kann ich meine Online-Geschäfte überwachen, wenn ich nicht mehr online sein kann?

Wir sind hochtechnisiert. Wenn es funktioniert. Das fragile System.