Ich bin so frei

Eine gewisse Unverbindlichkeit hat sich in unseren Alltag eingeschlichen und dort zunächst ganz unbemerkt festgesetzt. Galt es lange Zeit als ein Ding der Unmöglichkeit, getroffene Verabredungen nicht einzuhalten (wenn überhaupt, dann wurden schwerwiegende Gründe wie das eigene Ableben gerade noch so akzeptiert), hat sich diese Haltung gelockert.

Um nicht zu sagen: ins Gegenteil gekehrt. Eine kurze Nachricht per Smartphone ersetzt das peinliche Ausreden Suchen und sogar eventuelles Erröten. Mit dem Tippen kurzer Botschaften und einem halbherzig ausgewählten albernen Emoticon ist die Absage zum Standard geworden. Eine Absage in letzter Sekunde gilt heute als Spontanität. Man setzt schließlich in Sekundenschnelle Prioritäten – in deren Mittelpunkt immer das eigene Interesse steht. Und so beginnen die zutiefst menschelnden Begründungen meist mit: „Ich bin so im Stress! Ich habe die Steuererklärung im Rücken! Ich habe gefeiert! Ich muss ein paar Tage Auszeit nehmen!“ Auf die mitleidheischenden Ich-Sätze, die einen hippen übervollen Terminkalender suggerieren sollen, folgt meist ein gelogenes: „Oh, ja das verstehe ich.“

Man ist ja so dolle (mit sich) beschäftigt, dass keine Zeit mehr für ein tatsächliches Treffen in der realen Welt bleibt. Um der Spontanität noch weiteren Ausdruck zu verleihen, werden alle noch so kuriosen Verabredungen getroffen und auch angenommen. Sie liegen zumeist ob der beanspruchten Agenda aller am Geschehen Beteiligten in weiter Zukunft. Wer weiß schon wirklich, ob er in fünf Wochen am Sonntagmorgen um zehn Uhr zum Wandern bereit ist? Doch die gesellschaftlich akzeptierte Reaktion sieht folgende Antwort vor: „Tolle Idee! Natürlich bin ich dabei.“ Gängige Praxis ist, an besagtem Sonntag um 9.30 Uhr das Handy in die Hand zu nehmen, um dann ein „Sorry, habe einen Hangover. Bin leider nicht dabei. Viel Spaß!“ an alle zu senden, die Tasche zu packen und an einen See zu fahren. Mit einer anderen Gruppe von Freunden, von denen auch drei abgesagt haben.

Das Geschäftsleben leidet schon längst unter der Unverbindlichkeit. Von Verträgen per Handschlag, deren Einhaltung lange Zeit als eine Frage der Ehre galt, ist nunmehr grundsätzlich abzuraten. Der Umtausch von Waren wird als Käuferrecht angesehen, was er de facto nur bei eindeutigen Mängeln ist. Und selbst bei mangelhafter Ware stehen dem Verkäufer noch mehrere Optionen zur Verfügung. Wer sich also beim Kauf von T-Shirts, Schuhen, Elektrogeräten, Einrichtungsgegenstände oder anderem nicht wirklich entscheiden kann, setzt auf die Kulanz des Verkäufers und fühlt sich auch noch im Recht. Meetings werden abgesagt, Termine verschoben, Buchungen storniert – einfach so. Mit der Option auf ein besseres Angebot. Wir sind dazu übergegangen, uns alle Möglichkeiten offen zu halten und das Beste herauszupicken. Vielleicht sollten wir uns überlegen, dass wir als Freund, Geschäftspartner oder Kunde auch nur eine Option sind. Für andere.