Wald auf Rezept

Die Deutschen lieben ihren Wald. Zweifelsohne. Allerdings nicht nur, weil der begehrte Rohstoff Holz dort wächst. Nein, der Wald ist für viele Menschen ein wichtiger, für manche sogar der einzige Erholungs- und Rückzugsraum, den sie in ihrer Wohnnachbarschaft wissen. Und dieser Raum wird rege genutzt. Soweit, so bekannt. Was sicher nicht alle wissen, ist jedoch, dass der Wald auch nachweislich einen positiven gesundheitlichen Effekt auf seine Besucher hat. Renate Cervinka, Umweltpsychologin an der Universität Wien, beschreibt diesen Effekt wie folgt: „Der Wald stärkt die physische ebenso wie die psychische Gesundheit von Menschen: Wenn man im Wald spazieren geht, schlägt das Herz messbar ruhiger, der Blutdruck sinkt, die Muskeln entspannen sich.“

Dabei muss der Spaziergang nicht zu einem Marathon ausarten. Wie Forscher des Department of Hygiene and Public Health der Nippon Medical School in Tokio im Jahr 2007 herausgefunden haben, stellt sich der positive gesundheitliche Effekt des „im Wald baden“ bereits nach kurze Zeit ein und stärkt dabei messbar das menschliche Immunsystem. Die Forscher untersuchten die Effekte auf so genannte natürliche Killerzellen (NK-Zellen), die zu der Gruppe der Lymphozyten gehören und in der Lage sind, Tumorzellen und durch Viren infizierte Zellen zu erkennen und abzutöten. Als Testgruppe dienten zwölf gesunde männliche Probanden im Alter zwischen 37 und 55 Jahren. Die Probanden verbrachten Zwei- beziehungsweise Dreitages-Ausflüge in verschiedenen bewaldeten Gebieten und waren angehalten, am Tag mindestens zwei Stunden in der Frühe und zwei Stunden am Nachmittag durch das bewaldete Gebiet zu spazieren. Am Ende des Aufenthaltszeitraums wurde den Testpersonen Blut abgenommen und mit einer Probe, die vor dem Test bei normalen Alltagsbedingungen genommen wurde, verglichen. Elf der zwölf Probanden zeigten einen Anstieg der NK-Zellen um 50 Prozent nach dem Waldbesuch.

Auf die Ergebnisse der ersten Untersuchung aufbauend haben sich die japanischen Forscher ein Jahr nach Veröffentlichung ihrer ersten Forschungsergebnisse (2008) mit einer weiteren Fragestellung beschäftigt. Nun, da bekannt war, dass ein Waldbesuch die Anzahl der NK-Zellen erhöht, stellte sich ganz zwangsläufig die Frage, wie lange dieser Effekt letztendlich anhält. Wieder wurden zwölf Freiwillige im Alter von 35 bis 56 Jahren für drei, beziehungsweise zwei Tage in den Wald, oder alternativ zu Kontrollzwecken (wissenschaftliche Gegenprobe) in die Stadt geschickt. Die Tagespläne der Probanden wurden, egal, wo diese schließlich die Zeit des Experimentes verbrachten, synchronisiert. Am ersten Tag waren die Testteilnehmer dazu angehalten, zwei Stunden durch einen bewaldeten Bereich oder Tokio zu laufen. Am zweiten Tag sollte morgens und nachmittags je zwei Stunden marschiert werden. Dabei sollten Teile der Probanden auch verschiedenartige Waldflächen erkunden. Am dritten und letzten Tag des Tests kehrten die Probanden nach Tokio zurück und ließen ihr Blut, aber auch ihren Urin, des zweiten und des dritten Tages des Experimentes untersuchen. Außerdem wurden Blut und Urin der Probanden sieben Tage und dreißig Tage nach Ende des Tests erneut getestet und bildeten mit der Kontrollmessung, die vor dem Experiment durchgeführt wurde, und den Ergebnissen des Testzeitraums die Datenreihe, die nun Aufschluss über die Wirkungsdauer des gesundheitlichen Effektes des Waldbesuchs liefern sollte.

Das Ergebnis der Untersuchung des Vorjahres wurde in Form der signifikanten Erhöhung der NK-Zellen bei der Gruppe der Probanden, die sich während des Tests im Wald aufhielt, bestätigt. Die neue Erkenntnis: Durch den Vergleich der Proben des Untersuchungszeitraums mit Proben der Teilnehmer, die vor und nach dem Testzeitraum gesammelt wurden, ließ sich feststellen, dass die Erhöhung der NK-Zellen auch noch bis mehr als sieben Tage nach dem Test anhielt. Neben der Konzentration an NK-Zellen wurden 2008 auch erstmals der Urin der Probanden getestet, genauer das die darin enthalten Konzentration an Adrenalin. Die naheliegende Frage: Hat sich auch die Adrenalinkonzentration durch den Waldaufenthalt verändert? Kurz: Ja, das hat sie. Die Konzentration hat sich während des Waldbesuchs sogar erheblich gesenkt. Ein Indiz, das laut den Forschern dafür spricht, dass Menschen im Wald wirklich Ruhe finden und nicht nur empfinden. Im Falle der Testgruppe, die sich im Untersuchungszeitraum in der Stadt aufhielt, konnte übrigens weder eine gesunkene Adrenalinkonzentration im Urin, noch eine Erhöhung der das Immunsystem stärkenden NK-Zellen nachgewiesen werden.  

Eine Erklärung für die Wirkung des Waldes, genauer für das, was da genau auf Menschen einwirkt, und die Gesundheit fördert, können indes auch die japanischen Forscher nicht abschließend liefern. Um sich der Antwort auf diese Frage zu nähern, haben die Forscher im Rahmen der Untersuchung aus dem Jahr 2008 aber bewusst bereits weitere, begleitende Untersuchungen angestellt. So wurden zum Beispiel auch chemische Botenstoffe (Aromaten, Acetoginene und Terpene) in der Umgebungsluft gemessen und anschließend untersucht. Legt man die Auswertungen der Luftuntersuchungen nebeneinander, dann fällt auf, dass jene Botenstoffe quasi ausschließlich in Waldbereichen vorkommen. Die Forscher vermuten deshalb, dass sich eben jene Botenstoffe für den gesundheitlichen Zugewinn des Waldbesuchs verantwortlich zeichnen. Ob es wirklich so ist, werden Forschungsvorhaben der Zukunft zeigen und in letzter Konsequenz auch beweisen müssen. Bis dahin genießen wir den Wald als der Deutschen Wohnzimmer weiter in gewohnter und geliebter Weise. Vielleicht ein wenig bewusster und dankbarer als vorher, aber bis zum finalen Beweis der Wirksamkeit leider nicht auf Rezept. Verbraucherschutzhinweis: der Waldbesuch ist natürlich nach wie vor kostenfrei.