Es sind die kleinen Dinge

Im kleinen Supermarkt des Viertels war nachmittags immer viel Betrieb. Die Menschen kauften auf dem Weg von der Arbeit nach Hause noch schnell das Notwendigste ein. Kein Großeinkauf wie am Wochenende, sondern nur ein bisschen Wurst oder Käse, ein wenig Gemüse oder Dinge, die einfach ausgegangen waren. So auch an diesem Dienstagnachmittag. Sabine hatte noch schnell ein paar Oliven, Tomaten und Schafskäse gegriffen, ein Baguette in den Einkaufskorb gelegt und ging zur Kasse. Noch schnell schob ein Hüne an ihr vorbei und stellte sich vor sie in die Reihe. Der Mann war noch jung, vielleicht Mitte 20, bekleidet mit Jeans, Turnschuhen und einer Bomberjacke. Das Gesicht war abweisend, ein wenig grob, seine Bewegungen eher bestimmend und aggressiv. Seine Verschlossenheit gegenüber seiner Umwelt betonte er noch mit den Ohrstöpseln, die ihn mit Musik versorgten. Er machte nicht den Eindruck, als ob er reichlich mit Geld gesegnet wäre.

Sabine legte nach ihm ihre Ware aufs Band und wartete. Der junge Mann bezahlte, hatte weder Korb, noch Beutel und versuchte, seinen Einkauf mit einem Mal zu greifen. Unsicherheit und Stress, wie sie nicht selten in Kassensituationen auftreten, ergriffen Besitz von dem Mann. Er ging, hatte jedoch eine Packung Würstchen vergessen. Sabine rief ihm nach, auch andere Kunden versuchten, seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Ohne Erfolg. Die Musik war wohl zu laut. Der Hüne verließ unbeeindruckt und mit langen Schritten den Laden. Sabine bezahlte, räumte ihre vier Teile in ihren Einkaufsbeutel und verließ ebenfalls den Supermarkt. Dabei konnte sie beobachten, wie der junge Mann zu dem Fahrradständer ging und seinen Einkauf in das Körbchen an seinem Rad deponierte. Sie ging zu ihm, lächelte und winkte ihm zu. Er nahm widerwillig einen Stöpsel aus dem Ohr und schaute sie misstrauisch und wortlos an. „Sie haben Ihre Würstchen an der Kasse vergessen“, sagte sie und beobachtete amüsiert, wie in dem Gesicht des Mannes das Misstrauen der Verwirrung Platz machte. Sein hilfloser Blick zu seinem Körbchen verriet Sabine auch seinen nächsten Gedanken. „Möchten Sie reingehen? Ich bleibe solange hier stehen und passe auf Ihre Sachen auf“, half sie ihm weiter.

Ohne ein einziges Wort drehte sich der Mann um und ging wieder Richtung Supermarkt. Allerdings hatte man sie offensichtlich beobachtet und gehandelt. Ein Kunde, der hinter Sabine an der Kasse gestanden hatte, kam aus dem Eingang und winkte mit den vergessenen Würstchen und übergab sie dem mittlerweile fassungslosen Hünen. Auch er lächelte freundlich und wünschte dem jungen Mann einen schönen Tag. Er drehte sich zu Sabine um, die Packung Würstchen fest umklammert und schaute sie fragend und ein wenig ratlos an. Dann wagte er ein kleines, wahrscheinlich wenig geübtes Lächeln. Sie winkte ihm freundlich zu und ließ ihn zurück mit einem völlig neuen Gedankenexperiment. Sein dunkles Weltbild hatte ganz offensichtlich Risse bekommen.

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