Der Onkel Emil Laden

Irgendwo in einem kleinen Weinort fand Emil ein leerstehendes Anwesen mit Hof und Scheune. Die Scheune war in keinem schlechten Zustand, der Hof hatte Flair, das Haus war nicht groß, aber wunderschön. Die Treppenstufen knarzten und die Wände atmeten Geschichte. Ein wenig muffig zwar, aber dies war schnell zu beheben. Emil wanderte um das Haus. Sogar einen Gemüsegarten fand er vor. Er lief durch den Ort und wollte bei einem Kaffee ein wenig nachdenken. Nichts. Kein Café, kein Laden. 

Am nächsten Tag kam er wieder. Er hatte seine Frau mitgebracht. Sie brauchte nichts zu sagen, er sah ihre Begeisterung. Sie kauften das Anwesen und bauten, verschönerten, 
renovierten und entwickelten ihre Idee von einem Hofladen. Die Scheune wurde zur Hofseite teilweise mit einer Glasfront ausgestattet und in Lager und Verkaufsraum unterteilt. Emil nahm Kontakt zu einem guten Bäcker und einer Kaffeerösterei auf, fuhr die Bauern in der Gegend ab und schloss mit manchen sogar noch Vereinbarungen per Handschlag. Nur Wein hatte er nicht. Emil wollte abwarten. Ein paar schöne Tische und Stühle für den Hof, ein Kaffeeautomat und stilvolle Deko für Hof und Laden gaben dem Entrée etwas Einladendes. Als der Hofladen eröffnete, kamen die Menschen aus dem Ort erst zögerlich, aber… sie kamen regelmäßig. Es wurden immer mehr. Eines Morgens kaufte jemand gleich um sieben Uhr alle Brötchen auf. Für die Feriengäste. 

Das war gut. Und schlimm zugleich. Am nächsten Morgen hatte Emil die doppelte Menge geordert und sie reichte bis um halb acht. Für den darauffolgenden Morgen hatte er wieder die Menge erhöht. Um acht Uhr war er ausverkauft. Dann rief er die Ferienwohnungen an und nahm Bestellungen auf. Sein Gemüse war immer frisch, immer saisonal, immer aus der Region. Manchmal sogar aus seinem Garten. Die Eier stammten nur von Bauern, die ihren Hühnern einen freien Auslauf gönnten. Den Kaffee bezog er von einer kleinen Rösterei in der Nähe. Er traf mit der Güte den Nerv der Zeit. Nach drei Wochen kannte er das ganze Dorf. Man traf sich bei ihm zum Kaffee. Seine Frau machte die Kuchen selbst, kochte Chutney und schon ein wenig Marmelade. Es gab kleine Tapas, die seine Frau in der Küche zubereitete. Sie kauften weitere Tische und Stühle, damit alle sitzen konnten, und eine schöne Theke für den Hof.

Jeder Winzer aus dem Dorf, der wollte, lieferte für den Ausschank eine Woche lang seine Weine und Sekte. Dann wechselte das Angebot. Jeder konnte bei jedem probieren und für die Feriengäste war es ein spannendes Erlebnis.

Onkel Emils Laden, wie die Dorfbewohner den Hofladen nannten – Tante Emma passte ja nicht -, war nicht nur im Dorf beliebt. Mittlerweile kamen die Kunden aus den anderen Dörfern, die Touristen aßen bei ihm Kleinigkeiten, und sogar die Stadtmenschen fanden den Weg zu ihm. Telefonisch oder per Mail gaben sie ihre Bestellungen auf und reservierten Tische. Er belegte jedoch nur immer die Hälfte der vorhandenen Tische mit einer Reservierung, damit die Einheimischen stets einen Platz finden konnten. Das fand anerkennende Zustimmung im Winzerdorf. Bei Emil wurden auch Pakete abgeben, Nachrichten hinterlassen und natürlich auch die Neuigkeiten aus dem Dorfleben ausgetauscht. Onkel Emils Laden war ein Teil des Dorfes geworden. Doch dann wurde Emil bei einem Autounfall verletzt. Nicht schwer, aber langwierig. Eine Katastrophe für Emil und seine Frau. Aber auch für das Dorf. Den Laden schließen – das ging nicht. Das Dorf sprang ein. Die Nachbarn organisierten Morgens-, Mittags- und Abendschichten. Die Männer transportierten, die Frauen bedienten. Sie lachten miteinander, wenn etwas nicht so schnell ging, staunten, was Emil und seine Frau alles leisteten und schauten einfach nach dem Rechten. Der Laden lief weiter. Noch mehr war Onkel Emils Laden in die Mitte des Dorflebens gerückt. Jeder hatte seinen Beitrag geleistet. 
Als Emil wieder gesund war, wollte er seine Helfer bezahlen. Aber niemand wollte Geld. Emil hatte Glück, dass die Stimmung nicht deswegen kippte, denn sie wurden kurzzeitig schon ein wenig grummelig. Aber sie kamen weiterhin. In ihren Laden. Nun gingen sie manchmal sogar hinter die Theke und packten mit an, wenn viele Kunden gleichzeitig erschienen. Sie plauderten und trafen sich dort, die Kinder machten ihre Hausaufgaben an den Tischen, auch die, denen zu Hause nicht geholfen werden konnte. Die Alten hatten Ansprache oder wurden im Krankheitsfalle sogar beliefert, manchmal auch bekocht. Onkel Emils Laden war mehr denn je zu einem sozialen Mittelpunkt herangereift, was mit Geld nicht aufzuwiegen war – weder von Emil noch vom Dorf.