Es ist schön, mit Farben zu leben. Farben erlauben uns, unsere Umwelt zu gestalten. Farben sind jedoch nicht nur zu Dekozwecken so zahlreich um uns herum anzutreffen. Sie erfüllen vielmehr, sogar primär, Aufgaben, die uns helfen, uns in unserem Alltag zurecht zu finden. Farben haben Signalwirkung, die sich als Kommunikationsmedium hervorragend bewährt haben.
Das menschliche Auge verfügt über mehr Sinneszellen als alle anderen Sinne zusammen. Damit ist das Sehen unser Leitsinn, auf den wir seit Jahrtausenden vertrauen und uns stützen. Die Entwicklung des Farbsehens hat die Evolution des Menschen entscheidend vorangebracht. Durch die Verarbeitung der Informationen, die mit der Fähigkeit, Farben zu unterscheiden, sprunghaft angestiegen ist, hat sich unser Gehirn massiv weiterentwickelt.
Grün war die erste Farbe, die es auf der Welt gab. Das Chlorophyll der Pflanzen bildet den Farbstoff Grün, den unsere Vorfahren lernten, wahrzunehmen. Dies war überlebenswichtig, um Nahrung finden zu können. Bis heute ist Grün die Farbe, von der wir die meisten Nuancen erkennen können. Grün beruhigt uns, denn wenn Grün um uns herum ist, dann signalisiert unser Althirn, dass das Überleben gesichert ist. Nachweislich sinkt noch heute das Stresshormonlevel im Blut, wenn wir uns im Wald aufhalten – trotz der Urängste, alter Sagen von Trollen, toten Seelen und Gebrüder Grimm.
Unsere Vorfahren lernten die Farbe Rot zu erkennen und konnten somit nahrhafte, weil reife und damit zuckerhaltige Früchte identifizieren. Damit war ein weiterer wichtiger Schritt in der Evolution eingeleitet. Rot ist für uns heute eine wichtige Signalfarbe, auf die wir sofort und unbewusst reagieren. Rot als Farbe des Überlebens in Sachen Nahrungsidentifikation signalisiert darüber hinaus auch Gefahr. Blut und Feuer sind rot und lösen sofort einen Handlungsbedarf aus.
Rot hilft uns, unsere Wahrnehmung von Mikroexpressionen einzuordnen, die unsere Mitmenschen aussenden. Die Hautfarbe ändert sich im Rotanteil bei bestimmten emotionalen Reaktionen wie Ärger, Erregung, Freude, Angst, aber auch bei Krankheit. Dieses teilweise sogar nicht bewusste Erkennen und Deuten von nonverbaler Kommunikation beeinflusst uns unter anderem auch bei der Partnersuche und auch banaler Identifikation von Freund und Feind.
Bei männlichen Affen ist die Rotsicht nicht immer ausgebildet, da die weiblichen Tiere für das Sammeln von Früchten zuständig sind. Auch heute besteht bei Männern – kurioserweise nur bei Männern - immer noch das Risiko einer Rot-Grün Farbsehschwäche, von der etwa zehn Prozent der männlichen Bevölkerung betroffen sind. In diesem speziellen Fall vollzieht die Evolution einen kleinen Salto rückwärts, denn die Zahl der Betroffenen nimmt zu.
Nicht alle Lebewesen sehen die Farben, wie sie sich uns darstellen. Selbst Stiere, von denen man allgemein annimmt, sie reagieren auf ein rotes Tuch, können die Farbe Rot nicht sehen. Sie regen sich lediglich über den Stierkämpfer und sein penetrantes Gehabe vor ihrer Nase auf.
Blau ist in der Natur eine seltene Farbe. Wenige Pflanzen bilden blaue Blüten oder Früchte aus. Auch wenn die Farbe Blau allgegenwärtig um uns herum erscheint, so ist das Blau des Himmels und des Wassers lediglich auf das physikalische Phänomen der optischen Lichtbrechung zurückzuführen. Kommt man Wasser und Himmel näher, so erreicht man doch nie das Blau. Deshalb galt – und gilt bis heute - der blaue Edelstein Lapislazuli als besonders wertvoll. Seine hauptsächlichen und ursprünglichen Fundorte liegen in den Tiefen des Hindukuschs. Lapislazuli hatte bereits im Altertum eine immaterielle, symbolisch aufgeladene Bedeutung. Im Alten Ägypten ist der Import von Lapis-Schmuckstein seit der ersten Dynastie (um 2980 v. Chr.) nachgewiesen. In Pharaonengräbern findet man Lapislazuli fast immer, denn der wertvolle Stein war nur den Königen, Kaisern und Pharaonen vorbehalten. Bei der goldenen Totenmaske des Tutanchamun sind die Augen mit Lapislazuli-Einlagen umrandet, außerdem bestehen die Augenbrauen aus jeweils mehreren Lapis-Plättchen. Das Himmelbau, was Lapislazuli übersetzt bedeutet, symbolisierte das Göttliche. Bis heute wird die Farbe Blau als Lieblingsfarbe weltweit genannt. Dies findet sich in der Werbung und im Dresscode vieler Branchen wieder.
Andere Farben wie Purpur, Weiß oder auch Gelb wurden in verschiedenen Kulturen zu bestimmten Zeiten ebenso wie Blau exklusiv von Menschen hohen Rangs getragen. Immer dann, wenn eine Farbe sehr schwer herzustellen oder ihr natürliches Vorkommen rar war, wurde es nur für teuerste Gewänder oder Schmuckstücke mit göttlicher oder machtbesetzter Bedeutung zugelassen.
Bunte Farbkombinationen gelten allgemein als reich und lebensbejahend. Noch heute kann man diesen Zusammenhang besonders dort erkennen, wo die Natur karg ist wie in Wüstenstaaten, oder Farben schwer zu beschaffen sind. Sind die Zeiten politisch oder ökonomisch schwierig, wird die Mode greller und das Bedürfnis nach Farbe steigt.
Der Standpunkt alleine entscheidet, ob und mit welchen Farben wir uns heute umgeben.