Biodiversität auf Pfälzisch

Wenn ein wissenschaftlicher Fachbegriff in der gesellschaftlichen und politischen Debatte zu einem Dauerbrenner wird, dann muss zuvor etwas passiert sein. Vielleicht war es das Jahr 2010, das internationale Jahr der biologischen Vielfalt, auserkoren von der Generalversammlung der UNO im Dezember 2006, das uns den Begriff der Biodiversität näher brachte und zu seiner heutigen Verbreitung beitrug. Vielleicht ist es aber auch der Zeitraum 2011 bis 2020, die UN-Dekade der Biodiversität, in der wir uns gerade befinden. Sucht man, wann das erste Mal der Begriff wirklich die Runde machte, dann wird man recht schnell Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, genauer im Jahr 1992, fündig.

1992, auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro, wurde die Konvention  zur Biologischen Vielfalt beschlossen, die bis heute von 168 Staaten der Erde unterzeichnet wurde. Die Konvention (weniger sperrig: Übereinkunft) beinhaltet Ziele, die den Schutz der biologischen Vielfalt weltweit sichern sollen. Ein zentrales Element ist zudem die Identifizierung und Überwachung der Biodiversität und deren Schutz „in situ“, also im Ökosystem direkt und „ex situ“, in Form von Saatgutspeichern und Genbanken. Zudem soll der Austausch von Technologie, die wissenschaftliche Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen allen Zeichnern der Konvention gefördert werden. Eine globale Anstrengung, die bis heute anhält und erst jüngst mit der gestiegenen Bekanntheit der Thematik in den Vordergrund gerät. Ein gewisser Handlungsdruck ist ohne Zweifel vorhanden.

Eh da- Flächen

Ein Silberstreif am Firmament sind Projekte, Konzepte und Initiativen, die das Thema der Biodiversität in eine praxistaugliche Form gießen und insgesamt eher an Aufwand sparen, denn Aufwand machen ausgelegt sind.  Das 2018 durch die UN ausgezeichnete Konzept der Eh da-Flächen der RLP AgroScience mit Sitz in Neustadt-Mußbach ist ein solches Konzept und darüber hinaus auch im wörtlichen Sinne äußerst nahe liegend, denn im Fokus stehen Flächen in und außerhalb einer Siedlung, die es bereits gibt und die nicht erst aufwendig neu hergestellt werden müssen. Wichtig ist nur, dass die Flächen nicht bereits Teil einer naturschutzfachlichen Maßnahme sind oder landwirtschaftlich genutzt werden, kurzum, ungenutzt sind. Eh da, eben.

Mittels eines Analyse- und Bewertungsverfahrens, das sich auf punktgenaue Geodaten stützt, werden in Frage kommende Orte bestimmt, die dann vor Ort gesichtet und auf ihren ökologischen Zustand hin untersucht werden. Anhand der Untersuchungsergebnisse wiederum werden passgenau Handlungsempfehlungen für den Standort entwickelt. Soll beispielsweise die Biodiversität gefördert werden, dann kann der Erhalt von Totholz oder die Anlage von Lesesteinhaufen als Lebensraum für Insekten und Eidechsen empfohlen werden, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen.

Im Vordergrund des Eh da-Konzeptes steht die Aufwertung der ermittelten Flächen,  insbesondere zugunsten blütenbesuchender Insekten wie Wildbienen, und die Vernetzung derer Heimstätten (Habitate) untereinander. Die Vernetzung ist laut den Verfassern des Konzeptes deshalb besonders wichtig, da Wildbienen nur geringe Distanzen zwischen Brut- und Sammelhabitat zurücklegen können. Je nach Art können das nur wenige hundert Meter sein. Das wiederum bedeutet, die Maßnahme funktioniert nur, wenn sie in der Fläche angewandt wird.

Pfalzerprobt

Zwei Pfälzer Kommunen standen Pate, das Eh Da-Flächen Konzept vor Ort zu erproben. Denn klar war, das Konzept musste zunächst den Praxistest bestehen. Den Anfang machte Bornheim an der Südlichen Weinstraße im Jahr 2014. Zehn Flächen, die sowohl inner- als auch außerorts liegen, wurden durch eine Potenzialanalyse ermittelt und zur Durchführung von Aufwertungsmaßnahmen ausgewählt. Darunter befanden sich unter anderen die Fläche eines Speicherbeckens, eine Geländestufe mit vertikalen Rohbodenflächen sowie ein Hohlweg außerorts, Grünflächen um die Sporthalle innerorts, straßenbegleitende Flächen und Böschungsbereiche. Die Flächen wurden derart umgestaltet, dass eine ganzjährige Blüte möglich ist. Besondere Berücksichtigung fanden gefährdete Kulturpflanzen und -sorten und insgesamt eine vielfältige Vegetation gerade auf den Flächen, die sich durch eine vorher festgestellte Armut an Nährstoffen auszeichneten. Andernorts wurden so genannten Überwinterungs- und Rückzugshabitate errichtet, die es Nützlingen und Bodenbewohnern ermöglichen, eine neue Heimstätte zu finden.

2015 wurde Haßloch zur nächsten Eh da-Gemeinde. In Zusammenarbeit mit der AgroScience hatte die Gemeinde geeignete Flächen erfasst, katalogisiert und öffentlich vorgestellt. So wurden beispielsweise auf dem Parkfriedhof Überhangflächen aufgewertet, indem ungenutzte Geländestreifen mit insektenfreundlichen Blüh-Mischungen neu eingesät wurden. Zudem werden Flächen am Eingang des Friedhofes durch eine gestaffelte Mahd im wahrsten Sinne zum Blühen gebracht. Über 700 Einzelflächen, die ermittelt wurden und geeignet erscheinen, werden zukünftig von Paten betreut. Paten können Einzelpersonen, aber auch Gruppen und Vereine werden, die die Bereitschaft mitbringen, sich nachhaltig um Flächen kümmern.

Seit 2016 sind auch die Gemeinden Essingen und Neustadt an der Weinstraße, seit 2017 Herxheim und seit 2018 Altrip Eh da-Gemeinden und haben zwischenzeitlich eigene Flächen- und Maßnahmenkataloge entwickelt. Interessierte finden Details zu der bisherigen Arbeit in den genannten Kommunen auf deren Webseiten und über unten stehende Weblinks.

Klar ist, das Bewusstsein für die Umwelt, für den umgebenden Raum mit all seinen Mitbewohnern, ist gestiegen. Insektenhotels werden gezimmert und Allzweck-Chemie-Keulen gelten als Relikt einer längst vergangenen Zeit. Natur ist nicht mehr nur eine möglichst schöne Aussicht, die bestenfalls mit dem Pkw anzufahren ist. Nein, Natur wird in der Breite der Gesellschaft als ein vom Mensch und seinen Ansprüchen losgelöstes System verstanden. Ein System, das mit, das aber auch ohne den Menschen in sich funktioniert. Das Eh da-Flächen Konzept beweist in diesem Zusammenhang, dass Maßnahmen zur Förderung der kleinräumigen Biodiversität alles andere als kompliziert sein müssen. Und was wenig kompliziert ist, das kann vielerorts Anwendung finden. Kein Wunder also, dass das Eh da-Flächen Konzept jüngst als Projekt der UN-Dekade zur Biologischen Vielfalt ausgezeichnet wurde. Aus der Pfalz in die Welt. Kleine Schritte zu schöneren Aussichten, aber in die richtige Richtung.

Weitere Informationen:
Eh da- Flächen in Essingen: http://ehda-essingen.de/
Übersicht über alle Eh da- Flächen in Neustadt an der Weinstraße: https://arcg.is/1PyS5q
Eh da-Flächen, Erklärung: http://www.hortipendium.de/Eh_da_Flächen

Eh da-Flächen, eigene Webpräsenz: http://www.eh-da-flaechen.de/

 

Jens Wacker