Altbekanntes neu entdeckt - Wertvolle Knolle

Und es begab sich aber zu der Zeit, dass ein bis dato unbekanntes Gemüse seinen Siegeszug in die deutsche Küche und später auch in die Herzen der Deutschen feierte. Die ersten Kartoffeln, damals verbreitet Tartuffel genannt, sollen im Jahr 1647 unter dem Habsburger Kaiser Ferdinand III. in Pilgramsreuth in Oberfranken angebaut worden sein. Erste urkundliche Erwähnung fand der Anbau etwa ein Jahrhundert später bei Braunlage im Harz.

Noch heute ist dort ein Denkmal zu betrachten, welches die Inschrift trägt: Hier sind 1748 die ersten Versuche mit dem Anbau der Kartoffel gemacht. Ebenfalls einen nicht allzu geringen Anteil an der Verbreitung der Kartoffel hatte der Preußenkönig Friedrich II., der mit einer für die damalige Zeit äußerst innovativen Marketingstrategie die Knolle beworben haben soll. In einem Erlass aus dem Jahre 1756, der als erster Kartoffelbefehl in die Geschichte einging, verfügte der Alte Fritz, dass „Herrschaften und Unterthanen; des preußischen Staates der Nutzen des Erd Gewächses“ begreifl ich gemacht werden solle. Ein Instrument jener Werbeoffensive soll das Bewachen eines staatlichen Kartoffelackers durch Soldaten gewesen sein. Bauern, die bisher nicht zu den Anhängern der Knolle gehörten, wurde damit der Eindruck vermittelt, dass es sich bei dem bewachten Gemüse um eine besondere, sehr hochwertige Sache handelte und wurden regelrecht dazu angestiftet, die Pflanzen für den eigenen Anbau zu stehlen.

Das vermeintliche Luxusgut wurde in der Folgezeit flächendeckend angebaut und bildete über weite Zeiträume quasi die einzige Ernährungsgrundlage in weiten Teilen Deutschlands. Als neue Instanz am Nahrungsmittelmarkt diktierte das Ergebnis der Kartoffelernte die Preise der Konkurrenzprodukte, vor allem aber die des Getreides und der Getreideprodukte. Wenn bedingt durch Schlechtwetterereignisse und –phasen die Kartoffelernte sehr gering ausfiel, dann hatte das einen direkten Einfluss auf die Preise der Konkurrenzprodukte, die bis ins Unerschwingliche stiegen. Mit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Kartoffelkrankheiten aus Amerika eingeschleppt, die einen Großteil des europäischen Anbaus infizierten und zu weit verbreiteten Missernten führten.

Während der großen Hungersnot in Irland (1845 bis 1852) verhungerten auch aufgrund ausfallender Kartoffelernten über eine halbe Millionen Menschen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die inzwischen etablierte Abhängigkeit von der Kartoffel als Nahrungsmittel nicht mehr zu leugnen. Ursprünglich kommt die pápa, wie die Inkas ihre Knolle nannten, aus Südamerika, genauer den Anden. Mitte des 16. Jahrhunderts brachten Spanier die Kartoffel nach Europa, von wo aus sie sich über Italien auf dem gesamten europäischen Kontinent verteilte. Inzwischen wird die Kartoffel weltweit angebaut, was nicht zuletzt auf die Expansions und Kolonialpolitik europäischer Großmächte zurückzuführen ist. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt die weltweite Kartoffel-Jahresproduktion auf 376 Millionen Tonnen verteilt auf insgesamt 19,3 Millionen Hektar Anbaufläche (2013).

Das mit Paprika und Tomaten verwandte Gemüse wurde 2006 bis 2011 im wahrsten Sinne in alle Einzelteile zerlegt. Grund hierfür war das Potato Genome Sequencing Consortium, ein internationales Forschungsprojekt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Genom, also die Grundbausteine der Kartoffel, zu entziffern. 2011 wurde dann das Genom, das nach den Erkenntnissen der Forscher mehr als 39.000 proteincodierende Gene und zwölf Chromosomen enthält, in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Ziel der Sequenzierung war und ist, Züchtern einen Bauplan zur qualitativen und quantitativen Verbesserung ihres Anbaus an die Hand zu reichen. Zudem eröffnet die abgeschlossene Sequenzierung neue Möglichkeiten, die Kartoffel resistenter gegen Krankheiten zu machen. In Deutschland werden jährlich pro Kopf etwa 55 Kilogramm Kartoffeln verzehrt, Tendenz sinkend.

Die weltweit rund 5.000 Kartoffelsorten werden hinsichtlich der Aspekte Reifezeit und Verwendungszweck unterschieden. Speisekartoffeln werden bekanntermaßen nach ihren Kocheigenschaften kategorisiert. Das weiß jeder, der bereits selbst die Erfahrung machen durfte, dass der Griff zum (falschen) Kartoffelsack durchaus dazu führen kann, dass man gelegentlich zwangsweise ein anderes Gericht als ursprünglich vorgesehen kochen muss. Einen Fehlkauf verhindern soll die bereits angesprochene Kategorisierung nach Kocheigenschaften. Die Spanne reicht hierbei von festkochend über vorwiegend festkochend bis hin zu mehlig kochend. Festkochende Speisekartoffeln eignen sich hervorragend, um Gerichte wie Bratkartoffeln, Kartoffelgratins oder Kartoffelsalate herzustellen.

Vorwiegend festkochende Erdäpfel fi nden sich meist als Salz- und Pellkartoffeln, oder auch in einer Kartoffelsuppe verarbeitet auf dem Teller wieder. Mehlig kochende Kartoffeln eignen sich am besten für Eintöpfe und Pürees. Außerhalb der Beschränkungen, die die Einteilung in verschiedene Handelsklassen mit sich bringen, werden stark mehlige, trockene und nach dem Kochen sehr lockere Kartoffeln von der Industrie als so genannte Veredlungskartoffeln zu beispielsweise Pommes Frites und Kartoffelchips weiterverarbeitet.

Als wären die genannten Unterscheidungen nicht bereits Grund genug, um verwirrt zurückzubleiben, gibt es eine weitere Kategorie Kartoffeln: die Wirtschaftskartoffel. Je nach Stärkegehalt wird die Wirtschaftskartoffel beispielsweise als Futterkartoffel oder als Pflanzkartoffel eingesetzt. Etwa 30 Prozent der deutschen Kartoffelernte wird zur Gewinnung von Stärke und vier Prozent zur Alkoholgewinnung verwandt. Sechs Prozent dienen als Saatgut und 1,2 Prozent landen als Futtermittel in der Viehwirtschaft. Der geringe Anteil an der Gesamternte, der auf Futtermittel entfällt, begründet sich durch die Konkurrenz zu Soja, das günstig in Schwellen- und Entwicklungsländern produziert, weitaus niedrigere Weltmarktpreise bietet. Jens Wacker