Gluthitze

Die Hitze lag flirrend über der Stadt. Nichts bewegte sich, nichts regte sich, nichts schien sich der glutheißen Mittagszeit offenbaren zu wollen. Mensch und Tier hatten sich in den Schutz ihrer Behausungen zurückgezogen und verschliefen den Tag. Kein Laut wagte es, den Sommertag zu belasten. Die Zeit verglühte unter einer unbarmherzigen Sonne. Nichts geschah. Als die Nacht nahte, stahl sie der Sonne beharrlich ihre Macht. Doch diese hinterließ Temperaturen, in denen sich Gemüter erhitzten, Gehirne schmolzen, Gedanken brodelten und Meinungen glühten. Nach und nach öffneten sich die Türen und die Menschen traten vor ihre Häuser. Sie gingen langsam und reckten sich. Die Menschen wandten einander ihre Gesichter zu. Aus dem Raunen wurde ein Murmeln. 

Das Wispern schwoll zu einem Flüstern an. Immer mehr Stimmen erhoben sich in den Kanon der aufgestauten und nun gesagten Worte. Wie ein Schwall ergoss sich der Strom der vielfältigen Meinungen. Konträr prallten sie aufeinander und wuchsen zu Gesagtem, aber nicht Verstandenem an. Musikklänge mischten und fanden sich in Dissonanzen. Wo Worte aufeinander stießen und Wege nicht gefunden wurden, da unterstützte archaische Präsenz, den Willen zu dominieren. Heißblütig schoben sich Menschen, die einander nicht wiedererkannten, zusammen. Die Stimmung kochte. Die Umstehenden schwitzten und fühlten sich von der aufkommenden inneren Hitze wie paralysiert. Die Gedanken krochen nur langsam bei den einen, bei den anderen war die Vernunft der Temperatur gänzlich unterlegen. Einzelne Rangeleien feuerten die Atmosphäre zusätzlich an. Die Luft knisterte.

Der Ausbruch stand unmittelbar bevor. Worte zischten und schlugen einander entgegen. Sie fi ngen Feuer in kleinen Glutherden, an vielen Stellen. Sie konzentrierten sich auf einen, der am Rande stand. An ihm entlud sich die unerklärliche Hitze im Inneren. Dann grollte Donner, die Luft war zum Schneiden dick. Ein Blitz zerschlug die Dunkelheit. Plötzlich setzte der Regen ein, den niemand erwartet hatte. Sturm peitschte und wirbelte alle Umstehenden durcheinander. Sie hielten sich refl exartig aneinander fest. Das Unwetter ergoss sich über die Szene des Halbdunklen. Die Temperatur fi el rapide. Gedanken konnten wieder gefasst werden. Die Menschen betrachteten einander, als sähen sie sich zum ersten Mal. Wie selbstverständlich halfen und stützten sie sich gegen die wahre Bedrohung, wie sie nun empfanden. Sie gewährten einander Schutz und Unterschlupf. Sie rannten und waren eins. Vergessen waren die lächerlichen Rechthabereien. Nur einer blieb zurück. Er konnte nicht mehr fl iehen. Die Menschen staunten über das Geschehene und wünschten sich, niemals dabei gewesen zu sein.