Wir leben im Zeitalter der digitalen, nahezu unbegrenzten Möglichkeiten. Jederzeit haben wir Zugriff auf Informationen und Nachrichten, wir wissen über unsere Freunde und Bekannte – und auch über diejenigen, die wir eigentlich nicht kennen – via social media bestens Bescheid. Unser Musikkonsum ist dank Streamingportalen unersättlich. Ebenso schauen wir Filme, Serien und Dokus in Mediatheken und per Netflix & Co wann und wo wir wollen. Bücher werden per Klick auf dem e-Reader oder in unsere Tabletbibliotheken, vielleicht sogar auf unser Smartphone geladen. Schnell, günstig, unkompliziert – wahllos. Konsumieren ohne Reue. Alles vorhanden. Immer da.
Blöd, wer da nicht klickt. Ist das so?
Welchen Wert verlieren Texte, Fotos, Musikstücke, Filme, Nachrichten, wenn sie hürden- und barrierefrei nicht genossen, sondern verschlungen werden? Oder gewinnen Sie an Güte hinzu, weil sie sich abheben müssen von der Masse, die plötzlich Herr Jedermann oder der amerikanische Average Joe ohne Einlasskontrolle hochladen können?
Egal, wie man persönlich zum Massenmediakonsum steht, eins steht fest: Aufzuhalten ist er nicht! Doch es formiert sich eine stärker werdende Gegenbewegung. Es gibt noch Genießer, die völlig altersunabhängig den guten alten Schallplattenspieler neben die per Bluetooth angesteuerten kleinen Krawallboxen installieren und Vinylplatten auflegen. Mit Liebe und ein wenig Zeit sitzt man und lauscht einer Platte bis zum Ende zu. Kein Spulen, kein Mediathekhopping. Das ist nichts für Eilige und Unentschlossene.
Ebenso verhält es sich mit Kinogängern, die für den ultimativen Filmgenuss eine riesige Leinwand und überragenden Sound bis in die Tiefen des Magens benötigen. Ganz zu schweigen vom Eiskonfekt und dem Popcornduft, die eine unabdingbare Voraussetzung für wahre Filmkultur darstellen.
Auch Bücherwürme genießen mit allen Sinnen. Nicht wenige geben den Papiergeruch als eines ihrer nicht verhandelbaren Kriterien beim Lesevergnügen an. Das Cover, das sich nicht nur als optischer Eindruck erfassen lässt, die Schwere des Buchs, das Rascheln der Seiten beim Umblättern – all dies machen die Gesamterfahrung Buch aus. Nicht zu vergessen: Das Lesezeichen. Natürlich kann man beim elektronischen Buch ein Lesezeichen setzen oder es geschieht sogar automatisch. Man öffnet die Datei und wird sofort an die zuletzt betrachtete Seite geführt. Ein reales Lesezeichen erfüllt hingegen durchaus auch einen anderen Zweck. Dieser darf sich sehr verschieden gestalten. Ein Lesezeichen kann ein einfaches Stück Karton sein, der als Werbeträger für andere Bücher herhalten muss und beim Buchkauf gleichsam in der Tüte gelandet ist. Es kann ein kunstvoll oder kreativ-originell gestaltetes Lesezeichen sein, das man sich selbst gegönnt hat oder jemand die Liebe zum Buch mit dem Lesenden teilt und ein schönes Geschenk mit Sinn überreicht hat. Und schon ist dieses ausgewählte Lesezeichen ein Sympathieträger.
Oder ein Lesezeichen wurde zum selbigen per Zweckentfremdung: ein bereits abgearbeiteter Einkaufszettel, ein leerer Briefumschlag, ein gepresstes Blatt, eine abgerissene Zeitungsecke (vielleicht mit Datum und einem Rest Schlagzeile), die Quittung des Buchkaufs (ebenfalls mit Datum oder sogar noch mit dem Preis in D-Mark angegeben). Erst kürzlich habe ich einem Buch die Boardkarte meines Flugs in die USA gefunden. Und plötzlich war die gesamte Reise wieder da. Mit dem Buch, das ich im Flugzeug gelesen habe, der Geschichte, über die wir diskutiert haben, dem Papierduft - und natürlich der Boardingcard. Das wäre mir mit meinem Tablet sicherlich so nicht wieder in den Sinn gekommen.
Wie schön.