Eine Stunde Glück

Was ist Glück? Kann man Glück unterrichten? Die Realschule plus in Kandel hat das Schulfach Glück als schuleigenes Wahlpflichtfach neben Sport & Gesundheit sowie darstellendes Spiel im Lehrplan. Die allgemeinen Wahlpflichtfächer Hauswirtschaft & Soziales, Wirtschaft & Verwaltung, Technik & Naturwissenschaft sowie Französisch decken als Lehrstoff den Teil ab, der es den Schülern ermöglichen soll, sich in einer immer komplexeren Welt zurecht zu finden. Aber Glück?

Susanne Gerdon unterrichtet das Fach. Am Montagmorgen treffen sich regelmäßig Schüler der achten Klasse, um gemeinsam grundlegende Regeln des menschlichen Miteinanders zu erarbeiten. Gerdon beginnt die Stunde mit Braingym. Sie lässt die Schüler erklären, was es damit auf sich hat. „Wir verbinden die linke und rechte Gehirnhälfte miteinander, damit wir konzentrierter und effektiver handeln können.“ Tatsächlich müssen sie sich konzentrieren, um die Übungen auch schnell und rhythmisch ausführen zu können. Es sind Übungen aus dem Yoga enthalten, die überanstrengte Augen beruhigen und die Energiebahnen aktivieren sollen. Die Schüler machen mit. Dann folgt eine kurze Geschichte über einen Jungen, der ganz selbstverständlich Tiere rettet und damit ein gutes Beispiel für einen älteren Mann ist. Die Schüler geben wichtige und sehr überlegte Antworten in der kurzen Reflektion. Sie sitzen im Stuhlkreis und hören sich gegenseitig zu, ergänzen einander und finden es ganz selbstverständlich, über Dinge wie Hilfsbereitschaft und gute Vorbilder zu sprechen.

Nun sollen die Achtklässler aus rund 60 Begriffen, die Eigenschaften wie Kommunikation, Zuversicht, Treue, Heimat, Mut und vieles mehr beschreiben, diejenigen wählen, die sie selbst am besten charakterisieren. Die Jungen und Mädchen betrachten die Karten, auf denen die Begriffe notiert sind, schweigend und interessiert. Sie sind kritisch bei der Auswahl und nehmen ruhig und sachlich die Karten auf, die sie für sich als passend anerkennen. Sie ordnen die Begriffe als Basiseigenschaften ein, als Themen, die ihre Handlungen beeinflussen und als Herzbegriffe. Susanne Gerdon erklärt ruhig und geduldig, wiederholt, aber greift nicht ein. Die jungen Menschen sollen selbst entscheiden und sich reflektieren. In den Aufgabenbereich der Realschule plus fällt seit einiger Zeit auch die Inklusion, also die Integration von Schülern mit Handicap. In der Gruppe befindet sich ein autistischer Junge, der von einem Betreuer begleitet wird. Der Betreuer hält sich im Hintergrund und tritt nur dann in Erscheinung, wenn der Junge etwas mehr Unterstützung, eine weitere Erklärung oder eine direkte Anweisung benötigt. Die Klasse reagiert mit Gelassenheit auf die Inklusion, da sie in schwierigeren Situationen nicht betroffen ist. Die Jugendlichen arbeiten konzentriert an ihrer Selbstdarstellung auf einem großen Bogen Papier. Sie sind in Bewegung, gestalten nach ihren eigenen Vorstellungen und mit Hilfe ihrer individuellen Fähigkeiten. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Ein Mädchen kann besonders gut zeichnen und zaubert einen Phoenix in die Kopfgegend ihres gezeichneten Ichs. Ein Junge offensichtlich griechischer Abstammung wählt die Farben seines Herkunftslandes und wählt Heimat und Tradition als seine Oberbegriffe – jedoch für seine persönliche Basis empfindet er andere Begriffe wichtiger. Ein anderer legt die Begriffe Treue und Zuverlässigkeit als Themen für sein Handeln fest. Der Autist wählt Symbole für Stärke, die er in seiner Herzgegend verortet. Sein Kopf wird von geraden Strukturen und Farben bestimmt.

Niemand lacht, macht Bemerkungen oder frotzelt über das Werk der anderen. Sie alle sind mit sich selbst beschäftigt und geben sich ersichtlich Mühe.

Parallel zur Schulstunde Glück läuft der Kurs Sport & Gesundheit. Dieser wird gegen alle Erwartungen nicht in der Turnhalle sondern im Klassenraum abgehalten. Heute steht Eventmanagement auf dem Plan. In kleinen Teams organisieren die Schüler das Sportfest der Schule. Sie planen den Zeitablauf, die feierliche Eröffnung und Schlusssequenzen des Festes, sie machen sich Gedanken über die Deko und die externen Teilnehmer. Ihre Planungen müssen sie dem Lehrerkomitee vorlegen, das kritisch über die Machbarkeit beraten wird. Ganz praktische Überlegungen spielen in der Planung eine Rolle. Die Schüler müssen sich über Genehmigungen und Verordnungen sowie Sicherheitsaspekte informieren und diese in ihre Planung einbeziehen. Das Schulfach Gesundheit & Sport unterrichtet die jungen Menschen in Themen, mit denen sich Übungsleiter beschäftigen: Anatomie, erste Hilfe, Prävention, Ernährung und sportliche Übungen. Die Achtklässer bereiten Sportstunden für Fünftklässler vor und leiten diese an. Sie übernehmen Verantwortung für ihr Handeln und geben anderen Schülern Hilfestellung. Ganz praktisch mit der Theorie in der Hinterhand.

Ob Glück oder Gesundheit, die Selbstreflektion der Schüler, ihre eigenen Ideen und die daraus resultierenden Konsequenzen leisten einen Beitrag zum Selbstbewusstsein und Selbständigkeit der jungen Menschen, die sich gerade noch in einer Findungsphase befinden. Sie profitieren in ihrem Alltag in Krisen, da sie sich ihrer eigenen Stärken und den ihren Zielen bewusster sind. Gleichzeitig hilft ihnen die Auseinandersetzung mit Stärken und Schwächen Mitmenschen besser einzuordnen und zu verstehen. Soziale Intelligenz ist eine Kompetenz, die in unserer Arbeitswelt zunehmend gefragt wird. Schon bei einem Vorstellungsgespräch finden Arbeitgeber schnell heraus, ob Bewerber über Einfühlungsvermögen, Motivation und Krisenfestigkeit verfügen. Schulfächer wie Glück können entscheidende Impulse setzen.  

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