Die Sache mit der Umfrage

Das Ergebnis des Brexit-Referendums hat es noch einmal ganz deutlich gemacht: Wenn alle gefragt werden, dann fühlen sich auch viele berufen, ihre Meinung zu äußern – ob sie tatsächlich eine eigene Meinung haben oder auch nicht. Und anschließend ist man verwundert, wenn das Ergebnis einer Umfrage, das sich aus Einzelschicksalen und Gefühlslagen zusammensetzt, tatsächlich Konsequenzen hat. Kurz nach Bekanntwerden des Brexit-Ergebnisses bedauerten viele Briten ihre Wahl, da sie wohl angenommen hatten, dass letztlich alles beim Alten bleiben würde und ihre Stimme nur eine Art Denkzettel darstellen sollte.Es wäre natürlich viel zu kurz gesprungen, daraus zu folgern, dass eine demokratische Abstimmung nicht zielführend sei und nur ein ausgewähltes Elitegrüppchen die Schicksale eines ganzen Volkes bestimmen dürfe. Allerdings sollte man ein Volk üben lassen. Demokratie üben. Die Schweizer sind nach zahlreichen Referenden Meister in der Stimmabgabe.

Der Fehler bei der neuen Form der Willensabfrage der im Moment en vogue befi ndlichen Bürgerbefragung ist nur allzu häufi g, dass eine Regierung mit einem Thema startet, das eine übergroße Bedeutunghat. Die gestellte Frage beinhaltet einen Sachverhalt mit einer Komplexität, die von einem politischen Laien – und das sind die meisten Bürger, auch diejenigen, die lauthals Überschriften repetieren können – nicht eingeschätzt, überblickt und entschieden werden kann. Es ist nicht die Kernaufgabe eines jeden Staatsbürgers, sich mit den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, mit politischen Hintergründen und Rechtsfragen auseinanderzusetzen.

Das ist die Aufgabe von gewählten Politikern, von denen zu Recht erwartet werden kann, dass sie vor ihrer Wahl ihre politische Gesinnung, ihre Ziele und Grundsätze wahrheitsgemäß offen legen. Denn danach werden sie gewählt. Es mag naiv klingen, doch wollen wir glauben, dass Politiker verantwortungsvoll ihre Aufgaben wahrnehmen und nicht ihre eigene Karriere in den Vordergrund setzen. Ein Referendum von Seiten der Politik bei wichtigen Fragestellungen einzuleiten, ist nicht besonders mutig. Jedoch manchmal wird es als eine Form des politischen Kalküls genutzt, um eine diffuse Angststimmung oder Unzufriedenheit in der Bevölkerung für eigene Ziele einzusetzen. Gefühlte Unsicherheiten auszunutzen – mit oder ohne Referendum -, ist grob fahrlässige Zündelei am System, an der Zukunft und am Frieden. Meist ist sie am rechten oder auch am linken Gesellschaftsrand zu beobachten und besitzt die Kraft, sich in die Mitte zu fressen. Skandierende Massen sollten übrigens auch nicht gleichgesetzt werden mit einer demokratisch geäußerten Meinung. Die Schweizer gehen mit dem Thema Referendum ganz anders um.

Sie werden regelmäßig und seit Jahren immer wieder befragt. Dabei haben sie erfahren, dass ihre Stimme Gewicht hat, ein Teil des Ergebnisses ist und die daraus resultierende Entscheidung ernst zu nehmen ist. Sie können nach Erfüllen bestimmter rechtlicher Kriterien auch selbst ein Referendum einleiten, um über eine Frage abzustimmen. Aber man muss gar nicht so hoch greifen, um über eine Bürgerbefragung noch im Nachhinein den Kopf zu schütteln. Als in Neustadt die Tunneldiskussion in vollem Gange war, konnte man sehr deutlich erleben, dass nur einige Diskutanten versuchten, mit Argumenten zu punkten. Erfolg hatten diejenigen, die einfache Lösungen für komplexe Sachverhalte anboten, die sich letztlich – und leider im Nachhinein - als nicht durchführbar erweisen. Einer der Fehler war, dass man alle Neustadter gefragt hat, ohne vorher eine Bürgerbefragung geübt zu haben. Man hätte beispielsweise mit einem Stadtbeleuchtungskonzept beginnen sollen, welches im Übrigen dringend notwendig wäre…