Zeit für alles

Wenn wir jung sind, dann ist genügend Zeit für alles. Die Jugend gilt als die Zeit des Lernens in der Schule, in der berufl ichen Ausbildung und später als Berufsanfänger. Sie ist die Zeit der Ausgelassenheit, des sich Ausprobierens, der Rebellion und des Verliebens, der grenzenlosen Freiheit und des tiefempfundenen Zweifels. Freunde finden. Partner finden. Sich selbst finden. Es gibt Zeiten für die Liebe, in der man sich ganz vergisst. Während man in anderen Momenten nur an sich denkt. Man glaubt, man fi nde völlig zu sich selbst. Manchmal stimmt das sogar. Noch häufi ger sucht man sein Ich im Spiegel der anderen und verliert sich darin.

Es gibt Zeiten der Strenge und der Freiheit, der Disziplin und der Strukturlosigkeit, der Fragen und der Antworten. Nicht immer sind diese scharf voneinander getrennt. Wenn sich Sicherheit auflöst, macht sie Platz für Erweiterungen. Oder mündet in engen Grenzen, aus denen es sich zu befreien gilt. Es gibt Zeiten des Festhaltens und des Loslassens, des Stehens und des Gehens, des Rennens und des Verweilens. Glücklich ist, wer dem richtigen Impuls folgt. Zur gleichen Zeit sind wir liebevoll und von unglaublicher Eiseskälte, werden wir als angenehm und unbequem empfunden, schlägt uns Sympathie und Misstrauen entgegen.

Wir sind überwältigt vom Leben und langweilen uns tödlich. Wir möchten weiter und dabei alles mit uns nehmen. Nichts Verlassen beim Neuanfang. Wir wissen aus Erfahrung und haben keine Ahnung. Wir sind neugierig und ignorant, völlig offen bei gleichzeitiger höchst idiotischer Vernagelung.Wir werden alt und sehnen uns nach der Fröhlichkeit der Jugend. Wir fi nden sie und trinken uns daran satt. Wir glorifi zieren die längst vergangene Zeit und vergessen den Kummer, die Sorgen und die Tiefen, die auf alle Höhen folgten.

Bei der Rückschau betrachten wir das Leben durch den Filter der Jahre. Die Intensität der selbst gewählten Filterfarbe ist individuell. Und kann sich ändern. Je nach Stimmung. Wir bleiben im Augenblick, weil wir wissen, wie vergänglich er ist, und doch schauen wir nach vorne und auch zurück. Was wir sehen? Macht es uns glücklich? Ist es das, was uns ausmacht? Haben wir gelernt? Dazugelernt? Glücklich der, der jedes Gefühl erfahren durfte und intensiv durchlebt hat. Denn er ist Mensch und weiß, was leben bedeutet. Es gibt Zeiten der Freude und der Trauer. Sie müssen sein, im Wechsel oder zugleich, denn sie sind Bedingung für alles, was uns an tiefem Gefühl widerfährt.