Die morgendliche Bahnfahrt – Aufregung wie im Film

Dienstagmorgen, 07.02.2012, 8:28 Uhr, Bahnhof Ludwigshafen Mitte. Es ist kalt. Minus 15 Grad. Um diese Uhrzeit und bei diesen Temperaturen gibt es eigentlich nur einen sinnvollen Aufenthaltsort, das kuschelige Bett. 
Die durchgefrorenen Passagiere steigen in den Zug und versuchen, sich mit dem Gedanken an eine heiße Tasse Kaffee aus dem Bürokaffeeautomaten zu trösten, während die S-Bahn den Bahnhof verlässt. Gedankenverloren wandern die Blicke aus dem Fenster und dann plötzlich BUMM. 

Ein lauter Knall, Funken und helle Lichtblitze. Glühende Einzelteile fliegen durch die Luft. Die typischen Actionfilmgedanken schießen in den Kopf. Ein Anschlag. Eine Bombe auf den Gleisen. Auf das entsetzte Schweigen folgt aufgeregtes Treiben im Zug. Was ist gerade passiert? War es wirklich ein Anschlag? Warum fährt der Zug nicht weiter? Ist jemand verletzt? Besteht Gefahr? Nachdem sich die ersten, vor Schreck verzerrten Gesichter der Passagiere wieder normalisieren und sich die Lage auch außerhalb des Fahrzeuges beruhigt, erscheint es sinnvoll, in Zukunft nicht mehr so viele Hollywoodfilme zu schauen und sich nicht bei jeder Ausnahmesituation realitätsfernen Gedanken hinzugeben. Es wird schon nichts Schlimmes passiert sein. 

Die ersten beschweren sich bereits, dass auf die Bahn kein Verlass sei und nun wichtige Geschäftstermine ausfallen müssten. Der Notfallmanager der Bahn trifft ein und läuft mit seiner orange-farbenen Warnweste zum Unfallort. Dann die erste Durchsage. Teile der S-Bahn Oberleitung sind abgerissen, Stücke des Stromabnehmers sind auf die an den Gleisen vorbeiführende Straße gefallen. Verletzt wurde niemand. Die aktuelle Situation muss nun genauer begutachtet werden, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Der Mitarbeiter der Bahn entschuldigt sich schon einmal dafür, dass es durch den Stromausfall ziemlich kalt werden wird. Während sich die Temperaturen im Zug schnell den Außentemperaturen anpassen und die ersten Feuerwehrautos den Einsatzort erreichen, ist die Stimmung im Zug erstaunlicherweise relativ gelassen. Die Durchsage, dass das Stromkabel noch auf dem Dach des Zuges liegt und die Feuerwehr sich entschieden hat, die Passagiere zu evakuieren, facht die Phantasie wieder an. 
Während man sich schon selbst wie ein Actionheld, dem durch die Luft schwirrenden Stromkabel ausweichend aus dem Zug schwingen sieht, kommt auf einmal die Frage auf, warum das Schuhwerk ausgerechnet heute aus Stiefeln mit rutschiger Sohle besteht und auch noch zwei unhandliche Taschen als Reisebegleiter gewählt wurden. Das mit dem eleganten Herausschwingen wird sich also nicht umsetzten lassen. Na, dann wenigstens nicht vor der versammelten Feuerwehrmannschaft von der Leiter fallen. Dies gelingt auch allen Passagieren und somit ist die Aufregung überstanden. 

Nachdem alle unversehrt aus dem Zug evakuiert wurden, werden natürlich mit der Smartphone-Kamera eifrig Bilder von dem Fahrzeug und den versammelten Feuerwehrmännern gemacht. Als Beweisstück dafür, dass die Passagiere Teil eines katastrophalen Unfalls waren. Jetzt nur noch schnell auf Facebook oder Twitter allen Freunden mitteilen. Und wer weiß, vielleicht werden die Bilder auch als Inspiration und Grundlage für einen neuen Actionfilm verwendet. 

Nadine Baumann