Das plötzliche Chaos

Es knirschte, quietschte, brach. Überall waren Splitter und Trümmer. Ganz zu schweigen von der Stille, die dem lauten Knall gefolgt war. Sie war unheimlich, diese Stille. Das Fehlen von Geräusch war ohrenbetäubend. Alle schwiegen, keiner wagte es, sich zu rühren. Der Staub, der eben noch in die Höhe stob, setzte sich bedächtig auf die Szene. Verletzt war niemand, verdutzt alle!

Ein Baum, der altersschwach und offensichtlich von innen heraus krank war, hatte dem Sturm nicht mehr standhalten können. Einst groß und mächtig, jetzt gerippig und kahl war er gekippt und hatte seinen Nachbarn mitumgerissen. Beide landeten auf der Scheune, die völlig verblüfft in die Knie gegangen war. In ihr standen die Geräte für den Garten – und das Cabrio, das nur im Sommer angemeldet wurde. In diesem Sommer würde es wohl nichts mit dem Fahrtwind in den Haaren werden. 

Sie näherten sich langsam der Scheune, die Nachbarn von der anderen Seite. Noch ungläubig bestaunten sie gemeinsam das chaotische Bild. Ein neues Szenario, das sich in wenigen Augenblicken von einer gewachsenen Ordnung zu einem ausgewachsenen Fiasko entwickelt hatte. Von jetzt auf gleich. Völlig unerwartet, wenngleich nicht grundlos – und leider auch vorhersehbar. Hätte man es denn sehen wollen. Hätte man die Zeichen und Signale des kranken und sterbenden Baums lesen wollen, mehr noch: wahrnehmen wollen. Man war überrascht. Die Frage der Schuld kam auf und wer die Rechnung begleichen wollte, sollte, musste. Doch man schwieg schnell wieder, denn die Frage war gefährlich. Sie könnte sich, einmal in die Welt gebracht, auch umkehren und angreifen. Sich gegen den Fragenden richten. Unangenehm. Lieber die Überraschung noch etwas länger zelebrieren, manifestieren. Einzementieren. Dann war man nicht schuld.

Wie ging es jetzt weiter? Was war zu tun? Wie konnten die Bäume weggeräumt, die Trümmer geborgen, was repariert und was entsorgt werden? Wer? Wem konnte man dies übergeben? Sich solange zurückziehen und erst dann wieder erscheinen, wenn aus dem Fiasko eine Ordnung entstanden war – das war der Wunsch, ein Anliegen, eine Flucht in die Irrealität. Dem gegenüber standen die fragenden, ungläubigen, leicht skeptischen, vorwurfsvollen, sogar schadenfrohen Blicke der anderen, der Nachbarn, Verwandten, Bekannten und Freunde. Wer würde helfen? Bei genauerem Ansehen dieser Gesichter musste man eingestehen, dass es nicht viele sein würden.

Das würde teuer werden! Eine Strategie des Erzählens jener Geschichte musste her. Von Überraschung und Unschuld umrahmt, von gutem Glauben und Ahnungslosigkeit gehalten und im Kern: eine Forderung, die sich als eine mitleidige Bitte verkleidet hatte. So musste es werden. Jetzt bloß nicht viel sagen, denn es hörten und sahen zu viele zu. Sie würden sich erinnern an diesen Moment.

Für dieses Chaos musste man sich einfach etwas Zeit nehmen.

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