Verkannte Vorzeichen

Das ging schon eine ganze Weile so. Dabei hatte es ganz harmlos begonnen. Kleine Stiche verwunderten ihn zwar, wurden aber von ihm großzügig ignoriert. Achselzuckend quittierte er die zunehmenden Aufmüpfi gkeiten, die sich aber ebenso schnell wieder legten, wie sie gekommen waren. Hätte er da schon reagiert, wäre die Situation sicher nicht eskaliert. Doch hinterher weiß man immer Bescheid. Irgendwann ahnte er dunkel, dass etwas Grundlegendes im Argen lag, was drohend im Hintergrund lauerte. Niemand sprach jedoch ernsthaft darüber, so dass auch er die sich anbahnenden Vorzeichen wieder verdrängte. Doch nichts lässt sich wirklich durch Ignorieren aufhalten. 

Es dauerte nicht sehr lange, als sich der Zustand von nervig zu lästig, von schmerzhaft zu unerträglich steigerte. Jetzt gab es kein Leugnen mehr, die Zeiten der lässigen Ignoranz aus selbstgemachter Hilfl osigkeit waren vorüber. Er versuchte zu retten, was zu retten war. Allerdings waren seine Versuche von lächerlicher Naivität geprägt.

Zum ersten Mal sprach er nun über seine Probleme. Nicht freiwillig, doch die Situation zwang ihn dazu. Zaghafte Lösungsversuche leiteten nicht zu dem gewünschten Ergebnis, noch nicht einmal zu einer Besserung. Nachdem viele Gespräche geführt worden waren, wand er sich an einen Experten. Dessen Rat gefi el ihm nicht. Gar nicht. Er tat ihn ab. Doch die Lage wurde immer prekärer.

Er probierte weiter. Andere Spezialisten suchte er auf, doch egal, an wen er sich wand, der Rat Verkannte Vorzeichen blieb gleich. Eine Trennung schien unausweichlich. Das wollte er nicht, hatte er nie gewollt. Er versuchte, zu retten, was zu retten war. Doch viel zu spät kamen seine letztlich engagierten Rettungsversuche. Nichts half mehr, gleichgültig was er auch immer versuchte. Das Kind war in den Brunnen gefallen. Er hatte zu lange die Augen vor den maroden Zuständen geschlossen, die sich nun massiv offenbarten und die schon seit langem ihre unheilvollen Vorzeichen geschickt hatten.

Als der Schmerz zu groß wurde, kamen ihm in seiner Hilflosigkeit die Tränen. Er musste sich seinem Schicksal fügen, der Tatsache ins Auge blicken: Der Zahn musste einfach raus.