Putzen im Frühjahr

Es gibt Traditionen, die Generationen überdauern. Dazu zählt ohne Zweifel der Frühjahrsputz. Einmal im Jahr wird gründlich aufgeräumt, gewischt, gewienert, geputzt, sortiert - und auch aussortiert. Dabei handelt es sich nicht um das gewöhnliche Säubern der Oberflächen von 3 Zimmer, Küche, Diele, Bad, sondern vielmehr um die intensive Grundreinigung der Innereien. Das sind die tiefen und verborgenen Winkel von Schränken, die hinterste Ritze der Polstergarnitur und die letzte verborgene Schachtel im untersten Schubladeneck des Sekretärs. Das hört sich genauso gruselig an, wie es in Wirklichkeit ist. Also her mit Putztuch, Eimer, Gummihandschuhen und Müllsäcken. Letztere werden im Anschluss gut gefüllt sein, wenn man es denn ernst meint. 

Je nach Größe und Umfang der Aktion sollte man den Frühjahrsputz in Etappen erledigen. Diese Etappen sollten jedoch zeitnah beieinander liegen, damit der Elan nicht verfliegt. Die Gefahr besteht durchaus. Denn neben dem körperlich schweißtreibenden Aus- und Aufräumen, dem Wischen und Schrubben, gibt es eine weitere Komponente, die das Großreinemachen so beschwerlich macht. 
Dabei handelt es sich um den Trennungsschmerz. Aussortieren bedeutet, sich von Dingen zu trennen. Hierbei kann es bei manchem Frühjahrsputzgeschädigten durchaus zu einer tiefgehenden psychologischen Auseinandersetzung mit sich selbst kommen. Schließlich gilt es zu entscheiden, was uns für immer verlassen soll. Das sind Abschiede ohne Wiederkehr. Was der Müllwagen einmal verschluckt hat, bleibt für immer verschwunden. Dies ist die schmerzhafte Seite der Medaille. Darunter können Dinge fallen, die entweder ihr Dasein mit uns bis zu ihrem bitteren Ende gefristet haben, der eigenen aktuellen Lebenssituation nicht mehr angemessen sind, die nie wichtig waren oder – und das hat eine besondere Qualität – in denen man sich von Anfang an getäuscht hat. Fehlkäufe! Ein Irrtum also, der darüber hinaus auch noch Kosten verursacht hat. Man hat die Fehlentscheidung, die aus einer Laune heraus geschah oder sich unter falschen Voraussetzungen in dem Kaufmoment als toll darstellte, schließlich bezahlt. Wer will sich dies schon eingestehen! Das orangefarbene Streifenkissen war schon immer hässlich, der Pulli passte von Anfang an nicht und die Rezepte im kreolischen Kochbuch erwiesen sich in keinem Moment als alltagstauglich. Aber die Sachen sind noch neu, unbenutzt – wie auch sonst? – und zu schade zum Wegwerfen. Das ist die Krux. Und so wandern sie Jahr um Jahr wieder zurück in den Schrank oder in das Regal gemeinsam mit dem schlechten Gewissen und dem unausgesprochenen Eingeständnis des Irrtums. Es ist wie mit den Erinnerungen an nicht abgeschlossene Begegnungen. Man kann nur schwer von ihnen lassen.

Aufzuräumen und auszusortieren erleichtert. Schon kurz nach dem Abschied erscheint die Welt heller und freundlicher. Denn mit dem Kissen, dem Pulli und dem Kochbuch verlassen uns auch die schlechten Gefühle, die latent auf unserem Gewissen lasteten. Die Dinge, die uns wichtig sind, rücken nach vorne, denn sie haben nun mehr Platz im Regal und im Schrank. Drumherum ist es sauber und hell. 

Gut so. 

Die Tradition des Großreinemachens beginnt im Kopf. Und räumt diesen auf. Die gute Nachricht: Der Rest ist Technik.