Die diffamierte Generation

Nichts ist so einfach, wie gefühlte Stimmungslagen mit eigenen Erfahrungsanekdötchen zu koppeln und jenes Gemenge aus nicht prüfbaren Quasi-Tatsachen einer geneigten Leserschaft als Wahrheit zu verkaufen. Zurzeit bemühen sich die Feuilletons großer Zeitungen und Autoren leicht zu konsumierender Ratgeber, die heutige Jugend mit wenigen sinnvollen Aussagen, aber immerhin wortreich in beschaulich-verdaulichen Appetithäppchen zu charakterisieren. Dabei scheint es chic zu sein, die jungen Menschen – das sind diejenigen zwischen 15 und 30 – als lustlose, emotions- und sozialverarmte Ja-Sager mit Hang zur Work-Life-Balance und arroganter Überheblichkeit zu diffamieren.

Das Handelsblatt wirft ihnen Biedermeiergeist vor, der Spiegel glaubt, sie seien sogar zu effizient zum Feiern. Erst kürzlich kritisierte man die Studenten, dass sie nicht mehr auf die Straße gingen, um gegen Missstände aufzubegehren. Leise Duckmäuser mit egozentrischer Zielorientierung, protestgeschwächte Egomanen, die sogar von der Frankfurter Allgemeinen als Grottenolme betitelt wurden, führen Deutschland vermeintlich ohne Umwege in den Untergang. Der Niedergang des Deutschen Denkertums scheint nahe, folgt man den Autoren jener pseudowissenschaftlichen Abhandlungen, die die Gesamtheit aller jungen Menschen genauestens zu kennen scheinen. Aber dies alleine scheint unmöglich. Will man die Gruppe der jungen Leute im Alter von 15 bis 30 Jahren – das sind immerhin rund 6,8 Millionen Menschen – vereinheitlichen und ihnen ein einziges Etikett aufdrücken, so muss man zwangsläufig scheitern. Allerdings sind es gleich mehrere Etiketten, die großzügig vergeben werden: Generation Facebook, Generation Ego, Generation Stupid, Generation I Like, Generation Y (in englischer Aussprache ergibt sich daraus Why, also Warum). Der Tenor ist jedoch bei allen gleich gelagert, nämlich negativ. Kling nach Vorurteilen und genau das sind sie.

Die Autoren treffen den Nerv derjenigen Leser, die im Rückblick ihre eigene Jugend gerne glorifizieren. Schließlich habe man ja die Welt verändert, sei ganz auf Revoluzzer-Kurs gewesen und habe sich gegen die vorherigen Generationen durchgesetzt. Dabei sind es die Alt-68er die heute in Weltkrisen schlittern, weil sie damals schon genau wussten, was gut für alle Menschen auf diesem Planet ist. Und die Babyboomer waren – ausgenommen der intensiven Friedensbewegung in Form von Menschenketten – eher ruhig als laut. Diese Elterngeneration hat Werte vermittelt, die sich in Erziehung niederschlug. Das Ergebnis ist unsere Jugend. Who is to blame? Jene bekamen, was sie wollten. Oder? Vielleicht bekamen sie mehr als sie wollten. Die Jugend von heute ist keine homogene Masse – was sie übrigens noch nie war – sondern eine buntes, riesiges Konglomerat an Vielfältigkeit. Sie sind faul, fleißig, geradlinig, desorientiert, dumm, schlau, angepasst, richtungslos, höflich, rotzig, aggressiv, harmoniebedürftig, kleinkariert und unkritisch. Sie tauschen sich aus in Foren und Chatrooms, sind informiert und kritisieren detailliert. Sie sind keine Teilnehmer von Straßendemos, wo unisono eine Parole gebrüllt wird, sondern formulieren ihren eigenen Kommentar. Oder liken, wenn dem nichts hinzuzufügen ist. Sie machen Selfies, lernen Menschen über Grenzen hinaus kennen, arbeiten im Ausland und engagieren sich. Sie sind zielstrebig bei der Suche nach sich selbst und haben letztlich ihr Leben im Sinn.

Sie sind das, was die Jugend immer schon war. Auf ihre Weise.