Geschmackssinn

Wenn Menschen nach dem Begriff Geschmack gefragt werden, dann lassen sich die gelieferten Defi nitionen meist auf zwei, maximal drei Aspekte reduzieren, die ausschließlich auf die Wahrnehmung von Geschmack abzielen. Die Erklärung unseres Geschmacks im wissenschaftlichen Verständnis ist jedoch weitaus umfangreicher und zeigt, wie viele Protagonisten im menschlichen Körper tatsächlich für das Geschmacksempfi nden zuständig sind.

Grundsätzlich versteht man unter Geschmack einen Sinneseindruck, der bei der Aufnahme von Nahrung entsteht. Die Komplexität des Schmeckens lässt sich in die Teilsinne Geruchs- und Geschmackssinn, Tastsinn und das Empfi nden von Temperatur und Schmerz aufgliedern. Evolutionsbiologische Ursache für das Verwenden mehrerer Sinne ist der vorzeitliche Vorgang der Nahrungssuche und das damit verbundene genaue Prüfen von Nahrung auf mögliche Gefahren (Genießbarkeit), die negative Auswirkungen auf den Körper haben könnten.

Ein süßer Geschmack signalisiert das Vorhandensein von Kohlenhydraten als Energiequelle, während bitter schmeckende Substanzen mit in der Natur vorkommenden Giftstoffen assoziiert werden. Säuglinge ziehen beispielsweise die Qualitäten süß und umami anderen Geschmacksrichtungen vor. Sauer und bitter schmeckende Lebensmittel werden gemieden oder gar ausgespuckt. Der angeborene Refl ex, der diese Abwehrhaltung des Körpers verursacht, wird als gustofazialer Reflex bezeichnet.

Der Geschmackssinn des Menschen bildet sich bereits im zweiten Monat der Schwangerschaft und ist bezogen auf die Sensibilität und Wahrnehmung von Geschmacksreizen bei jedem Menschen unterschiedlich. Es gilt zudem als erwiesen, dass bereits während der Schwangerschaft Kinder über das Fruchtwasser Geschmacksprägungen und -toleranzen entwickeln, die sich auf die Nahrungsaufnahme der Mutter zurückführen lassen. Das Schmecken von Salz, genauer gesagt das Wahrnehmen des Salzgeschmacks, bildet sich erst in der Phase des Heranwachsens.Je nach Grad der Sensibilität für Geschmäcker unterscheidet die Fachwelt zwischen Normal-, Super- und Nicht-Schmeckern. Ähnlich wie bei der Farbwahrnehmung unterscheidet man beim Geschmackssinn zwischen dem tatsächlichen Geschmacksempfi nden, also dem was der Körper unmittelbar während der Nahrungsaufnahme verspürt, und der Bewertung des Geschmacks, die auf den Kulturkreis, kulinarische Traditionen und die Sozialisation, also auf individuelle Erfahrungswerte zurückzuführen ist.

Fünf Geschmacksqualitäten, die jeweils unterschiedliche Geschmacksrezeptoren auf der menschlichen Zunge ansprechen, sind bekannt und werden von der Fachwelt anerkannt: sauer, süß, bitter, salzig und umami. Letztere Qualität wird dem einen oder anderen Leser noch nicht zu Gehör gekommen sein. Unter umami, was frei aus dem japanischen übersetzt so etwas wie „köstlich im Geschmack oder wohlschmeckend“ bedeutet, wird die Geschmacksqualität verstanden, die das Vorhandensein einer Proteinquellen (Glutamat) anzeigt. Bestimmte Geschmacksreize erkennt der menschliche Körper nur dann, wenn die individuelle Wahrnehmungsschwelle durch die Konzentration des jeweilig zugeführten Reizstoffes überschritten wird.

Diese Wahrnehmungsschwelle kann sich durch den Konsum bestimmter Geschmacksqualitäten im Laufe eines Lebens deutlich verschieben, bis hin zu einer vollkommenen Gewöhnung. Eine Ausnahme bilden salzige und saure Geschmacksreize, deren individuelle Wahrnehmungsschwelle zwar veränderbar ist, eine vollkommene Gewöhnung jedoch nicht stattfi ndet. Einen wichtigen Einfl uss auf die Fähigkeit der Geschmackswahrnehmung hat die Temperatur von Speisen. Zwischen 22 und 32 Grad Celsius nimmt der menschliche Körper alle Geschmacksreize am deutlichsten wahr. Das Empfi nden von Schärfe wird fälschlicherweise gerne in einer Reihe mit den Geschmacksqualitäten salzig, sauer, bitter, süß und umami genannt.

Betrachtet man den Effekt des Schärfeempfi ndens genau, dann stellt man fest, dass Schärfe kein Geschmack, sondern vielmehr ein Schmerzempfi ndung auf der Zunge darstellt, die in der Regel von capsaicinoiden Substanzen wie beispielsweise Chilis hervorgerufen wird. Diese Substanzen stimulieren die Hitzerezeptoren innerhalb des Mundraums und gaukeln dem Gehirn vor, der Mundraum würde mit einer zu heißen Speise (43 Grad Celsius und mehr) gefüllt. Substanzen wie Menthol und Eukalyptus erzeugen nach Einnahmen einen ähnlichen Schärfe-Effekt auf der Zunge. Im Gegensatz zu capsaicinoiden Substanzen werden hier jedoch nicht die Hitzerezeptoren, sondern die Kälterezeptoren auf der Zunge stimuliert.

Jens Wacker