Sido - Eltern müssen hinhören

Über den Bildschirm flimmert ein Mann mit weiten Baggyhosen, langen Silberketten um den Hals und mit einer verchromten Totenkopfmaske vor dem Gesicht. Aus den Lautsprechern hallt laute Musik, die nur von dem Sprechgesang, größtenteils bestehend aus Schimpfwörtern, übertönt wird.

Sido, das super-intelligente Drogenopfer, wie er sich selbst nennt, und seine Rapmusik lassen vielen Eltern die Haare zu Berge stehen. Hip-Hop gehört meistens nicht zu den Musikrichtungen, die Eltern bei ihren Kindern gut heißen, geschweige denn, mit der sie sich selbst identifizieren können. Ganz im Gegenteil, diese Art von Musik ist bestens dazu geeignet, eine Trennung zwischen Eltern und Kinder zu schaffen. Rapmusik ist ein Trend, dem die Elterngeneration nicht folgt. Es fällt auf, dass heute viele Themen, wie Mode und Musik Generationen weniger sprengen als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Hip-Hop jedoch spaltet die Generationen. Sieht man mal von Fanta 4 ab.
Durch Hip-Hop-Musik haben die Jugendlichen einen Weg gefunden, sich von ihren Eltern in eine andere Welt zurückzuziehen. Das proletenhafte Auftreten der Hip-Hop-Künstler und deren harte, vulgäre Sprache schrecken Eltern regelmäßig ab und verhindern, dass sie sich mit dieser Musik näher beschäftigen. Doch genau das sollten sie tun: Eltern sollten hinhören. Denn hinter der eigenwilligen Sprache der Rapper steht oftmals eine ernst zu nehmende Botschaft. Hip-Hop ist eine andere Kultur, die in ihrer Sprache und auf ihre Weise Probleme, Wünsche und auch Sehnsüchte der Jugendlichen darstellt. Für Eltern sollte dies durchaus interessant klingen, wenn die Musik ihrer Kinder ihnen die Chance gibt, ihren Nachwuchs besser zu verstehen. Ein Lied, bei dem Eltern auf jeden Fall hinhören sollten, ist das aktuelle Lied von Sido, Augen auf. Dieser Song beinhaltet eine direkt an die Eltern gerichtete Botschaft. Mit softeren Klängen und Kinderchor ist es zudem eingängiger als die gewöhnlich produzierte Hardcore-Musik. Sido singt in Augen auf von Kindern, die zu Hause vernachlässigt oder gar ins Heim geschickt werden, die ihren Kummer in Alkohol, Drogen und Gewalt ertränken, und sich somit in tödliche Gefahr bringen. Das ist die traurige Wahrheit. Berichte in den Nachrichten über Gewalttaten Jugendlicher oder über Minderjährige, die mit schweren Alkoholvergiftungen nach dem Flatrate-Trinken in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen, bestätigen dies nahezu täglich.
Sido greift nun genau dies in seinem Lied auf und geht noch einen Schritt weiter. Er verarbeitet nicht nur die Probleme der Jugendlichen. Er spricht auch direkt darüber, wie Eltern in dieser Situation eigentlich handeln sollten. Eltern sollen sich den Schwierigkeiten in der Kindererziehung stellen. Es sei ihr Kind, sie hätten es in die Welt gesetzt, und müssten nun auch trotz all der Probleme ihrem Kind immer noch mit Zuneigung und Liebe begegnen. Es ist für Eltern schwierig, mit einem Kind, das tief im Sumpf aus Drogen, Alkohol und Gewalt steckt, liebevoll umzugehen. Doch oft seien, so Sido, die extremen Verhaltensweisen der Kinder nur ein Hilfeschrei. Sie wünschten sich Hilfe, Unterstützung und Zuwendung, um wieder auf den richtigen Weg zu gelangen. Diesem eigentlichen Wunsch ihrer Kinder sind sich Eltern aber nur zu selten bewusst, und deshalb ist es besonders wichtig, hinzuhören. Den Worten der Kinder oder ihrer Musik sollten Eltern folgen. Denn die Musik macht oft auf Umstände aufmerksam, die von vielen Eltern unerkannt bleiben.

Nadine Baumann

 

Kommentar

Augen Auf

Der Rapper Sido erzählt in drei Strophen kleine Geschichten von Kindern, die unter widrigen Umständen aufwachsen. Von Vernachlässigung, Drogen, Alkohol, die die Kinder an den Abgrund drängen.

 

Es ist die Rede von der kleinen Jenny, die durch die Geburt ihrer kleinen Schwester völlig von ihrer Mutter vergessen wird und keinerlei Zuwendung mehr erfährt. „...und dann mit 12 fing sie hemmungslos zu trinken an. Das war sowas wie ein Hilfeschrei, den keiner hört, bei jedem Schluck hat sie gedacht: Bitte Mama, sei empört!" Doch ihre Mama nahm die Signale nicht wahr, der Vater war desinteressiert und so rutscht Jenny in die zweifelhafte Obhut einer Clique, in der „...Flatrate saufen, 56 Tequila Shots einfach so" die Alternative zum Elternhaus ist. „Wie viel mehr kann dieses Mädchen vertragen?", fragt Sido. Eine Botschaft schickt er an Eltern, die durch eingängige Musik und einen Kinderchor angesprochen wird: „Heey... Mama mach die Augen auf. Treib mir meine Flausen aus. Ich will so gern erwachsen werden und nicht schon mit 18 sterben. Heey... Papa mach die Augen auf. Noch bin ich nicht ausm Haus. Du musst trotz all der Schwierigkeiten Zuneigung und Liebe zeigen." Justin - die Geschichte der zweiten Strophe - wird auf Drängen des Vaters kurz nach der Geburt in die Baby-Klappe abgeschoben und wächst im Heim auf. Dort hat er keinen guten Start. Und die Prognose für den Jungen sei eher düster, so Sido. „Dass er jemals 18 wird, kann man nur wenig hoffen, denn er raucht mit sechs, kifft mit acht und ist mit zehn besoffen." Sido ist selbst Vater. Er fordert sehr direkt auf, trotz aller Probleme für die Kinder da zu sein und sich nicht vor der Verantwortung zu drücken. „...du musst Probleme erkennen, sie aus der Welt schaffen." Und „...Du musst zuhören, in guten und in miesen Zeiten, du musst da sein, du musst Liebe zeigen."
Sido: „Wer Kinder macht, der hat das so gewollt,
doch sobald es ernst wird mit der Erziehung, habt ihr die Hosen voll."