Entgegen einer kultigen Werbung für Haarspray, wirken sich Wetterereignisse direkt und ohne Zuhilfenahme von Schutzvorrichtungen, wie Schirmen und Regenjacken, unmittelbar auf den Menschen aus. Wenn es regnet, dann ist mit nassen Kleidern zu rechnen und nach dem Erfahren von Sturmböen, ist der Zustand der Frisur zu überprüfen. Interessant und zugleich weniger Nachvollziehbar, werden meteorologische Ereignisse, wenn sie im vermeintlich Verborgenen, im Hintergrund der menschlichen Wahrnehmung stattfinden.
Weltraumwetter, hier vor allem Sonnenstürme, sind in diesem Zusammenhang Begriffe die vielen noch sehr fremd sein dürften, aber zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses rücken. Sonnenstürme entstehen durch Eruptionen auf der Oberfläche der Sonne. Geladene, also magnetische, Partikel, (Sonnensturm=Magnetischer Sturm) werden in einem „koronalen Auswurf“ von der Sonne ausgestoßen und bewegen sich mit sehr hoher Geschwindigkeit durch das All. Die durch die Sonneneruption freigesetzten geladenen Teilchen erzeugen, bei Auftreffen auf die Erdatmosphäre ein bekanntes Phänomen, die in Polargebieten sichtbaren Nord- und Südlichter (Aurora borealis, Aurora australis). Sonnenstürme können, je nach Intensität, Auswirkungen auf Telekommunikations- und Navigationssatelliten haben. Eine Störung des für Luft- und Schifffahrt imminenten GPS-Signals, kann große Folgen haben. Weiter sind zahlreiche Stromtransformatoren nicht gegen die Auswirkungen von Sonnenwinden und –stürmen geschützt. Ein Blackout, also ein flächiger Ausfall, von Teilen der in vielen Nationen zentral organisierten Energieversorgung, ist nicht auszuschließen. Die Aktivität der Sonne, die besonderen Häufung und Stärke „koronaler Auswürfe“, schwankt in einem Rhythmus von etwa elf Jahren. Mitte des kommenden Jahres wird, laut Experten, der Höhepunkt der Sonnenaktivität und der damit verbunden maximale Auswurf geladener Partikel stattfinden. Chili hat Dr. Werner Curdt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) und Dr. Norbert Jakowski vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) zum Thema Sonnenstürme befragt.
Chili: Gibt es eine einheitliche, durch die Fachwelt mehrheitlich getragene, Meinung über mögliche Eintrittswahrscheinlichkeiten von Schäden, hervorgerufen durch "solare Events"?
Dr. Werner Curdt (MPS): Die Vielzahl der Horrorszenarien stammt aus dem Dunstkreis der NASA. Anders als bei uns müssen Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten immer wieder Mittel einwerben und ihr Arbeitsgebiet interessant machen. Um „space weather“ interessant zu machen eignen sich solche Dinge bestens. Die US „homeland security“ (eine US-Behörde, die nicht dafür bekannt ist, Risiken auszublenden) sieht die Sache dagegen entspannter.
Chili: Konnten bereits in der Vergangenheit in Deutschland oder einem der Nachbarstaaten Auswirkungen, bedingt durch koronale Extremereignisse, festgestellt werden?
Dr. Norbert Jakowski (DLR): Bodeneffekte durch GICs (Anm.d.Red: Geomagnetic Induced Currents, geomagentisch induzierte Ströme) sind auch in Deutschland beobachtbar (induzierte Spannungen auf Pipelines). Stromausfälle sind mir nicht bekannt, wohl aber in Schweden (zum Beispiel Malmö während des Halloween Sturms im Oktober/November 2003). Ausbreitungseinflüsse auf GPS–Signale sind nachgewiesen worden.
Chili: Ist es überhaupt möglich eine Risikobewertung, also Eintrittswahrscheinlichkeiten von gewissen Ereignissen, aber vor allem der Grad der Beeinflussung/ des Schadens, durch solche Events abzuschätzen?
Dr. Werner Curdt (MPS): Ähnlich wie bei Erdbeben oder Vulkanausbrüchen sind Eintrittswahrscheinlichkeiten schwierig und Voraussagen nicht möglich.
Dr. Norbert Jakowski (DLR): Das Weltraumwetter ist eine sehr komplexe Erscheinung, dessen Natur und dessen Auswirkungen auf die Infrastruktur unserer hoch technisierten Gesellschaft weiter erforscht werden muss. Auf eine Reihe von Fragen können wir schlichtweg noch keine fertigen Antworten geben.
Chili: Spielt die geografische Lage eines Landes eine Rolle bei der Abschätzung des (Schadens-) Risikos das durch das Eintreffen geladener Teilchen entstehen könnte und ist Deutschland in diesem Zusammenhang gefährdet?
Dr. Werner Curdt (MPS): Elektrojets (Anm.d.Red: gebündelte elektrische Ströme in der Ionosphäre) treten bevorzugt in Breitengraden in der Nähe der Pole auf, da wo die Feldlinien sich der Erdoberfläche nähern. Ganz selten kann man in Deutschland Nordlichter sehen. Durch Induktion können entlang langer Drähte hohe Spannungen entstehen, besonders dann, wenn der Boden wenig leitfähig ist (wie der Weidezaun beim Blitz). Mir ist nicht bekannt, wie häufig das Stromnetz in Finnland betroffen ist.
Dr. Norbert Jakowski (DLR): Weltraumwetter ist ein globales Phänomen, das vor Landesgrenzen nicht Halt macht. Neben dem Einfall geladener Teilchen hat das Weltraumwetter auch noch andere Gesichter:
- Strahlungsausbrüche auf der Sonne mit einem breiten Energiespektrum von Radiowellen bis Röntgenstrahlung
- Erzeugung elektrischer Felder und elektrischer Ströme in der Magnetosphäre/Ionosphäre
- Einfall geladener Teilchen höchst unterschiedlicher Energie mit verschiedenen Auswirkungen auf Raumfahrtsysteme (Schädigung/Zerstörung elektronischer Systeme mit Ausfallrisiko für den betroffenen Satelliten) und die Atmosphäre (z.B. Polarlichter).
Zu 1.: Röntgenstrahlung kann Satelliten und deren Nutzlasten schädigen oder die HF-Ausbreitung terrestrischer Funkwellen stark beeinträchtigen (US-Fluggesellschaften meiden polare Flüge, wenn starke Sonnenstürme angekündigt werden). Radiowellen führen zu Interferenzen beim Handy, aber auch bei Satellitennavigationssystemen wie GPS und später auch Galileo.
Zu 2.: In der Ionosphäre können in hohen Breiten in ca. 100km Höhe (E-Schicht) Ströme bis zu 1 Mill. Ampere fließen. Diese heizen die Thermosphäre auf. Die Erwärmung und nachfolgende Ausdehnung nach oben führt zu größerem „Luftwiderstand“ für die Satelliten und damit zu Bahnstörungen. Die veränderlichen Ströme in der Ionosphäre verursachen ein gestörtes Magnetfeld (Geomagnetischer Sturm), das in der Lage ist, in Leitungssystemen auf der Erde Spannungen und damit auch Ströme zu induzieren (Geomagnetic Induced Currents – GICs), die Stromnetze zusammenbrechen lassen können.
Zu 3.: Direkte Schädigung von Satelliten aber gegebenenfalls auch von Astronauten ist möglich. Gefährliche Regionen sind hierfür hohe Breiten um 60-70° aber auch geomagnetische Anomalien wie die Südatlantik-Anomalie. Wie die hochenergetische elektromagnetische Strahlung verursachen geladene Teilchen eine zusätzliche Ionisation der Ionosphäre, die im Zusammenwirken mit den anderen Effekten die Signalausbreitung von Satellitensignalen erheblich beinträchtigen können. Letzteres ist genau unser Forschungsfeld im DLR Neustrelitz. Bei präzisen (cm-Bereich) und sicherheitskritischer Anwendungen (z.B. in der Luftfahrt) ist die Signalausbreitung eine Fehlerquelle und ein Störfaktor. Während reguläre Fehler (bis ca. 100m) korrigiert werden können, muss vor Störungen mit möglichem Signalverlust gewarnt werden. Wir haben hierfür eine „Ionosphärenwetterdienst“ etabliert (http://swaxciweb.dlr.de ). Somit ist Ihre Frage („ist Deutschland in diesem Zusammenhang gefährdet?“) summarisch ganz klar mit JA zu beantworten.
Chili: Ist das deutsche Energienetz anfällig gegenüber Sonnenstürmen?
Dr. Norbert Jakowski (DLR): Genau diese Frage ist Gegenstand einer vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Studie, an der das GeoForschungszentrum und meine Arbeitsgruppe Ionosphäre des Instituts für Kommunikation und Navigation beteiligt sind. Ich möchte hier nicht vorgreifen. Effekte gibt es. Die Frage ist, wie signifikant sind sie unter Berücksichtigung der Netzwerkstruktur und der Betriebsparameter. Wenn das Ergebnis der Studie ein Gefährdungspotenzial identifiziert, sollen die notwendigen Untersuchungen in einem speziellen Projekt durchgeführt werden.
Chili: Ist in den nächsten Jahren vermehrt mit koronalen Extremereignissen zu rechnen und auf welche -aus Ihrer Sicht- realistischen Auswirkungen muss sich der Otto Normalverbraucher in Deutschland einstellen?
Dr. Werner Curdt (MPS): Solare Events treten im Maximum eines Sonnenzyklus (um 2013) häufiger auf. Es gibt jedoch auch Events in der aufsteigenden und absteigenden Phase, ja sogar im Minimum. Die wahrscheinlichste Auswirkungen: Störungen im Funkverkehr über Minuten bis Stunden, Umleitung von Flugrouten in Polnähe, Polarlichter.
Dr. Norbert Jakowski (DLR): Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten stärkerer Sonnenstürme steigt mit wachsender Sonnenaktivität. Das Maximum des gegenwärtigen Sonnenzyklus’ 24 wird für nächstes Jahr vorausgesagt. Bisher waren geomagnetische Stürme in der aufsteigenden Phase (jetzt) und der absteigenden Phase (2014/15) besonders häufig und auch stark. Davon abweichend kann es aber selbst bei geringer Sonnenaktivität zu starken Störungen kommen, wie z.B. während des Supersturms am 1./2. September 1859. Während dieses Sturms brannten Telegrafenstationen aus und Polarlichter waren in Cuba zu beobachten. Die Auswirkungen eines solchen Sturms auf die heutige Infrastruktur sind schwer einzuschätzen. Mit Spekulationen sollte man vorsichtig sein. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Beantwortung derartiger Fragestellungen sind im Gange.
Chili: Wie kann man sich vor den potentiellen Auswirkungen schützen?
Dr. Werner Curdt (MPS): Es gibt Möglichkeiten der Risikominderung (Mehrphasentrafos, Relaisstationen, große Kondensatoren). Dennoch wird man wird das Restrisiko nicht völlig ausschalten können. Entscheidend ist daher, wie man sich gegen Avalanche-Effekte (Anm.d.Red: auch Lawineneffekt genannt, ein elektrisches Phänomen in Halbleitern bei dem aus einer relativ geringen auslösenden elektrischen Spannung (Sperrspannung) ein starker elektrischer Strom entsteht. Dieser Effekt ist vergleichbar mit der Entstehung einer Lawine aus einem Schneebrett) schützt.
Dr. Norbert Jakowski (DLR): Um sich gegen GICs zu schützen, gibt es sicher Schutzmaßnahmen (z.B. kontrolliertes Abschalten mit Grenzlast fahrender Netze, Vermeidung einer kaskadenartigen Überlastungswelle) wenn das Ereignis rechtzeitig bekannt ist. D.h. Vorhersage ist wichtig. Hierfür sind wir gut gerüstet. DLR Neustrelitz gehört zum Solar Wind Real Time Netzwerk der NOAA, das ein permanentes Monitoring des Sonnenwindes auf dem NASA-Satelliten ACE ermöglicht. Das DLR verfügt als privilegierte Nutzer über schnelle Informationen zum Sonnenwind um vor einem Sonnensturm zu warnen. Bis zur Einkopplung des Sonnenwindes in die Magnetosphäre der Erde verbleiben noch circa 30 Minuten. Auf der anderen Seite kann man durch das Monitoring der Veränderungen in der Ionosphäre die störungsbedingten Fehler kompensieren (siehe Korrekturkarten SWACI) oder aber Nutzer über den Sturmverlauf informieren, so dass sicherheitskritische Anwendungen in einen Sicherheitsmodus gehen.
Das Interview führte Jens Wacker